Gebrochener Reim

Wo ist bloß das gritze-
grüne Hemd? Ich schwitze.
Hier in meiner Wäche-
truhe liegt das fesche.

Ach, wie ist die Zille-
straße heut so stille.
Soll ich mit der rosen-
roten Ampel kosen?

( → Hans Sachs war Schuh- / macher und Poet dazu, witzig)

(Hans Sachs)

Gespaltener Reim

Sein Grün, das verschönt es!
Dein Hemd, dein verpöntes,
so häufig gekränktes…,
hier schau mal – hier hängt es!

Ach, glaubst du, das Rotlicht,
das dich so bedroht, Wicht…,
ja, denkst du, das tut es
gehässigen Mutes?

(zwei Wörter reimen auf eins; lustig)

Augenreim

Wie dünkt die Ampel mich so rot,
doch grüner leuchtet mein Trikot.

(reimt sich für’s Auge, aber nicht in der Aussprache: Trikot = Triko)

Paarreim

Zart fiel der Schnee in Haferflocken
auf die aparten grünen Socken.
Man sah sowohl das Ampellicht
als auch die Hand vor Augen nicht.

(aa bb cc, betont die Kadenz auf jedem Zeilenende)

Kawase Hasui [Hasui Kawase]: Schnee in Tsukishima, 1930

Kreuzreim

Ich renne in grünem Mantel
geblendet von grellem Rot,
gestochen von der Tarantel,
direkt in meinen Tod.

(abab cdcd; “musikalischer” als der Paarreim; so eine vierzeilige Strophe entspricht einer achttaktigen Periode in der Musik [eine Zeile entspricht zwei Takten, die ersten beiden Zeilen entsprechen dem viertaktigen Vordersatz und die letzten beiden dem Nachsatz])


                (Rolf-Peter Wille)

Blockreim + umarmender Reim + Mittelreim

Frau Bock vom zweiten Stock
ging grün berockt bei Rot.
Sie ruht geschockt und tot,
doch kühn verreimt, im Block.

(abba; gibt der Strophe eine recht klare Form; begünstigt “antithetische” Konstruktion: zweite und dritte Zeile Umkehrung oder “Antwort” auf erste und zweite; → Chiasmus in “Geistreich”; die ersten beiden Strophen [Quartette] eines italienischen Sonetts sind im Blockreim; Mittelreim: Worte im Versinneren benachbarter Zeilen reimen)

Haufenreim

Als Favorit
in schnellem Schritt
(denn ich bin fit)
rannt’ ich rapid
(du kommst nicht mit).
Mein Hemd ein Hit,
grün exquisit,
nicht unsolid
(gib mir Kredit)
war definit.
Doch da – igitt –
stand ein Bandit,
ein Parasit
wohl aus Granit,
sein Glanz perfid
rot und rigid.
Ach, wie ich litt
im Defizit!
Doch ich entglitt,
nicht sehr timid,
dem Dynamit
mit Appetit.
Nun sind wir quitt.

(lustig)

(Moai)

Schweifreim

Verloren ging ich auf der Straß’
ganz ohne Ziel und ohne Maß
nur immer auf und ab.
Ein Taxi fuhr mich beinah tot
– die Ampel stand wohl noch auf Rot
und ich entkam nur knapp.

(aabccb, hat mehr Richtungswillen auf die Kadenz der jeweils dritten Zeile; vergleiche → Fünfzeilige Strophe)

(Juan Weiss)

Kettenreim in der Terzine

Ein scharfer aromatischer Gestank
von Schabendreck, von Campher gegen Motten
Verwesung blüht in meinem Wäscheschrank.

Durch Stoffe wühle ich, die hier verrotten,
und schau – ein Schatz aus grüner Seide
versteckt sich in den schimmelnden Klamotten.

Zwei Hemden sind’s; in Laos kauft’ ich beide
vor Jahren schon. Ich war dort zur Massage,
da ich das teure Thailand meist vermeide.

Zu grün, zu alt! Ich werde die Blamage
wohl schwerlich überleben. Auf! Zwei neue
kauf ich bei Hotshirt in der Hemdetage.

Ich hoffe nur, dass ich es nicht bereue!
Die rote Ampel vor der Protzpassage
bringt mich doch jedesmal in rote Rage.

(“terza rime”: aba bcb cdc → Dantes Göttliche Komödie; stetig fortspinnend, auch durch die vielen Enjambents; episch oder geschwätzig; vergleiche auch → Ritornell in “Humor”)

Domenico di Michelino: [Dante], 1465

Vers

weitere Vers- und Strophenmaße, bzw. Gedichtformen:

Für weitere Reim- und Versstudien empfehle ich Wolfgang Kaysers Kleine deutsche Verslehre.

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille