Schlagreim

Leute heute lieben
Kleider leider. Die es
wagen, tragen bieder
flotte Mieder wieder
und die beste Weste
auch in Grün zur Not.
Knaben, die sie haben,
traben kühn bei Rot.

(Reim zweier aufeinander folgender Wörter innerhalb einer Verszeile; kann lustig wirken, aber eher penetrant als subtil)

Zeilenende reimt sich mit -anfang

Fremd ist mir mein grünes Hemd.
Ach, was macht die Straße Krach!
Droht die Ampel mir mit Rot?
Upps! Ich geb mir einen Schwupps
und steh drüben schon gesund.

(außerordentlich selten; erzeugt isolierte Zeilen und wirkt kurzatmig)

(Wilhelm Busch)

Zäsurreim

In guter Laun’, bei Morgengrau’n
ging er zum Brötchenbäcker,
wollt sich erbau’n und Brötchen kau’n,
denn Brötchen schmecken lecker.

Er trug mit Mut den Jägerhut
noch grüner und noch kecker.
Da packt’ ihn Wut, den Tunichtgut,
ich glaub, das war vor Schlecker.

Das Rotlicht dort an jenem Ort,
das ging ihm auf den Wecker.
Da schrie er “Mord”, da lief er fort
mit Mäkeln und Gemecker.

(halbiert die Zeile, stilisiert den Rhythmus; eine, allerdings gewichtigeren, Einschnitt [Zäsur] gibt es auch in der Langzeile und im Alexandriner)

(Wilhelm Busch)

Männlicher Reim

Hier bring ich’s auf den Punkt:
Wenn sich ein grüner Hund
in rote Farbe tunkt,
dann wird uns der zu bunt.

(letzte Silbe betont und reimt; starke Kadenz auf’s Ende der Zeile; das Gegenteil ist der weibliche Reim)

(Zhou Chunya)

Weiblicher + gleitender Reim

Ach, ich wollt’ kosen
   und in manch duftigen
Gärten mit Rosen
   wandeln im luftigen,
grünen Gewand.

Nun muss ich pesen
   auf der sich schlängelnden
Straße durch Wesen
   und die sich drängelnden
Autos hindurch.

Rasch, wie die Hasen,
   muss ich dem drohenden
Rotlicht entrasen,
   muss ich den lohenden
Flammen entfliehn.

(weiblicher Reim: letzte Silbe unbetont, die beiden letzten Silben reimen; gleitender Reim: dreisilbig, die vorletzte weniger, die letzte unbetont; musikalischer als der männliche Reim; der gleitende gleitet meist durch Partizipien in den → Daktylus; “entrasen”: Rasenmäher empfiehlt sich)

             

Reicher Reim

In Grün schritt sie beim roten Glanz
vergnügt zu ihrem Totentanz.

(die zwei letzten Hebungen reimen; üppiger Klang, kann aber auch witziger Effekt sein; nicht zu verwechseln mit dem gleitenden Reim, bei dem die letzte Silbe unbetont ist; der reiche ist also in seiner starken Kadenz eher dem männlichen Reim verwandt)

                          

(Emanuel Büchel, ~1770)

Erweiteter Reim

Als ich auf der Straße ging,
(die mir aus der Nase hing),
so befreit, so herrlich kühn
und mein Kleid so schmärlich grün,
sah ich Bäume lieblich blühn.
(Räume sah ich biblisch glühn.)

Ach die Ampel scheint so rot,
(das Getrampel weint sich tot),
doch ich flitz bei Gehverbot,
(horch wie schwitzt mein Hefebrot).

(mehrsilbige Reime; Paronomasie [Paronomasia]: Wortspiel; ↪ auch Paronomasie in “Humor” und Metathese in “Selt aber würdig”; Portmanteau: Kofferwort, schmählich-spärlich: “schmärlich”)

Max Ernst: Die Versuchung des heiligen Antonius, 1945

Rührender + identischer Reim im Ghasel

Der Weise trägt kein Grün; er trägt ein schlicht’s Gewand.
Zum Staube hin hat sich sein Sinn, ins Nichts gewandt.
Nichts gilt des Lebens Prunk, die bunte Farbe nichts.
Den schnöden Schein flieht er des roten Lichts gewandt.
Gesellschaft, Politik, dies Leben ist ihm nichts.
Der Weise hasst den Ruhm, trägt kein Geschichtsgewand.
Sein eigen Spiegelbild, nie hat es ihn entzückt.
Die Augen sind ins Innre des Gesichts gewandt.
Stets reiner und entrückt, gereimter singt der Wille.
Sein Geist hat sich zum Atem des Gedichts gewandt.

(Rolf-Peter Wille)

(gleichlautende Wörter reimen sich; gleiche Wörter reimen sich; Ghasel [Ghazal], arabisch, persisch: aa ba ca , etc.; der Name des Dichters mag [verschlüsselt] im letzten Vers erscheinen (hier im vorletzten); → Rumi; dem Statischen der Form kann man mit → Anastrophe, also mit ausdrucksvollerer Wortstellung, entgegenwirken; → auch Triolett in “Humor” und Sestine und Zwillingsreim in “Akrobatik”)

(Dschalal ad-Din ar-Rumi)

Unreiner Reim

Waaarum, ach ihr sünd’gen Seelen,
sollt ihr euch bei Rotlicht quälen?
Wollt ihr keine Zeit vergeuden,
müsst ihr euch in Grün verkleiden!

(eelen / älen, euden / eiden, etc.; Wirkung kann charmant, störend oder witzig sein; berühmt ist Goethes “Ach neige / Du Schmerzensreiche” [sprich: “Ach neiche…”???]; mein Beispiel parodiert von Gilm zu Roseneggs Zueignung [“Ja, du weisst es, teure Seele, / dass ich fern von dir mich quäle”], bekannt nur durch das Richard Strauss Lied)

(die “quälende” Wirkung des steigenden Crescendos kann bei unreinem Singen durchaus noch verstärkt werden…, ein Effekt, den Strauss sicher vorhergesehen hat [“word painting” → Urentsprechung])

Schüttelreim

Meist blickt durch seine Brille wütend
und über Reimen, Wille, brütend
ach, wie sich dieser Hüne grämt!
Doch heut trägt er das grüne Hemd.
Man sieht ihn auf der Straße neben
den Autos durch das Nasse streben
und rasch, mit viel Gehampel, eilen.

Da will ihn eine Ampel heilen.
Ein jeder bleibt im Drange stehn,
darf sich nicht um die Stange drehn.
Doch, kein Verehrer trüber Ampeln,
muss Wille stur hinüber trampeln.
Darf man mit Grün das Rot vertauschen?
Die Seele wird im Tod verrauschen!

(witziger Effekt; dieser Reim passte auch ins Kapitel “Akrobatik”; ein Rezept zum Finden von Schüttelreimen: 1. finde ein Reimwort [z.B. “Brille” auf “Wille“], 2. finde ein weiteres Reimpaar mit den gleichen Anfangskonsonanten wie das erste Paar [z.B. “brütend/wütend”], 3. verbinde über Kreuz [“Brille wütend/Wille brütend”], 4. erfinde zwei sinnvolle Verslinien [siehe oben]; “grämt/Hemd” ist leider ein sehr unreiner Reim

hier noch ein weiters Beispiel von mir selbst:

              Teuflische Einflüsterung

                   (satanisch geschüttelt)

        Was liest Du den Aristophan?
        Willst Du den Witz nur fade mischen?
        Mach Dich mal an Mephisto ran.
        Du musst mit fetter Made fischen!

        Ach, spüre wie der Frust erlischt,
        Wenn wir Dir dreiste Lieder flüstern.
        Es blühet Deine Lust erfrischt
        Und freudig wie der Flieder lüstern.

        Santé! Trink mir vom hellen Bier
        Und spür Dich alkoholisch beben.
        Gleich magst Du munter bellen hier.
        Das soll Dich diabolisch heben.

        Sei Satanist und rauche Hasch.
        Lass Deinen Geist recht teuer fauchen.
        Doch Deine Seel verhauche rasch,
        Damit wir sie ins Feuer tauchen.

Mephistopheles

Eugène Delacroix: Méphistophélès dans les airs, 1828

im Kreuzreim übrigens wirkt der Schüttelreim nicht mehr ganz so aufdringlich wie im Paarreim; sogar halbwegs sinnvolle Verse sind nicht unmöglich:

                   Der verschüttelte Dichter

        Frischauf, an meiner Schand gerüttelt!
        Schon schien ich, scheint mir, recht verschleimt.
        Leis hab ich mich am Rand geschüttelt
        Doch leider, fürcht ich, schlecht verreimt.

        Ganz ohne Ironie gesagt:
        Mein Reim, der sich am Stab vergreift,
        Hat an der Poesie genagt,
        Die grau vor Gram im Grab versteift.

        Da ist mir, ach, beim Bilder Weben
        Der Vers aus seiner Zucht geschlittert.
        Will auch der Rhythmus wilder beben,
        Schlimm ist er durch die Schlucht gezittert.

        Zwar sieht man manch Metapher schlau
        Aus diesen öden Stanzen winken.
        Erkaltet bald, wie schlaffer Tau,
        Wird sie nach schnöden Wanzen stinken.

        Nun sprießen mir recht bange Klauen;
        Die sollen flinke Triller schreiben,
        Gewandter dann am Klange bauen,
        Es noch rasanter, schriller treiben.

        So wachsen mir die Dichterranken
        Wie wilder Wein am Rebenstrauch.
        Nie wirst Du mir, mein Richter, danken.
        Dir scheint solch eitles Streben Rauch.

                                                                        [RPW]

eine Sonderform des Schüttelreims ist der “doppelte Schüttelreim” [“Quadrupel-Schüttelreim”], bei dem auch noch die Vokale geschüttelt werden [“Innenschüttler”]; hier ergeben sich also vier Verse pro Reim [“Schiene meiden / Miene scheiden / Scheine mieden / meine schieden”]:

                            Scheidung

        Da steht er auf der Schiene leider.
        Es heißt hier: Von Pauline scheid er.
        Nun singt er nur zum Scheine Lieder,
        Denn einsam und alleine schied er.

        Laßt uns hinfort die Schiene meiden,
        Wo wir mit bittrer Miene scheiden,
        Wo wir nicht Dollarscheine mieden,
        Doch Du und ich, oh Meine, schieden.

        Und lausch nicht dieser Scheiben Lieder.
        Nicht um sich zu entleiben, schied er.
        Uns schafft der Rechenschieber Leiden.
        Adieu, wir sollten lieber scheiden.

                                                                [RPW])

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille