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Vers

weitere Vers- und Strophenmaße, bzw. Gedichtformen:

Für weitere Reim- und Versstudien empfehle ich Wolfgang Kaysers Kleine deutsche Verslehre.

Trochäus

Grünes Hemd bei rotem Licht?
Geh hinüber – warte nicht!

(Musik entschlüpft dem Ei der Sprache; oder umgekehrt: entflog der Vers dem Lied? “Lied” ist der alte Name für Gedicht; “gemessen”, wenn man ihn denn messen muss, wird der Vers mit dem “Versmaß”, vergleichbar dem Takt in der Musik; die Einheit ist der Versfuß, der manchmal stolpert oft aber auch tanzt oder marschiert; der Trochäus, schwer-leicht, schwer-leicht, bong-tscha, bong-tscha, ist eher ein marschierender Fuß, aber er kann auch schnell laufen; im Zauberlehrling von Goethe spürt man, wie der Trochäus im Refrain [Walle! Walle!] plötzlich rascher “fließt”:

                Hat der alte Hexenmeister,
            Sich doch einmal wegbegeben!
            Und nun sollen seine Geister
            Auch nach meinem Willen leben.
            Seine Wort und Werke
            Merkt ich, und den Brauch,
            Und mit Geistesstärke
            Thu ich Wunder auch.
                        Walle! walle!
                 Manche Strecke,
                 Daß zum Zwecke,
                 Wasser fließe,                                        
                 Und, mit reichem vollem Schwalle,
                 Zu dem Bade sich ergieße.
)

Zauberlehrling

 

Ernst Barlach: Der Zauberlehrling beschwört den Besen, 1924
  

 

 

Jambus

Mein Hemd, mein Hemd, du scheinst so hell,
so grün bei diesem Rot!
Hinfort, hinfort, ich fliehe schnell
das schnöde Gehverbot!

(leicht- schwer, leicht- schwer, tscha-bong, tscha-bong; fließt mehr als der etwas steifere Trochäus)

Iambe

die spöttische Iambe [oder Baubo]
aus der griechischen Mythologie

Daktylus

Grün ist das Hemd / und recht rot ist das Licht:
Gehn wir, damit uns die Hoffnung nicht bricht.

(Daktylus: “der Finger” [drei Fingerglieder]; bong-tscha-tscha, bong-tscha-tscha, Dak-ty-lus, Dak-ty-lus; wiegend elegant, kann schnell kitschig wirken; → auch Daktylus im Dithyrambus in “Vers”)

Daktylus 4

 

Daktylus im Dithyrambus

(+ Alliteration)

Wundersam wehen im Winde Gewänder,
wallendes Grün.
Wie wir so lustig, so lässig spazieren,
wie wir so liebliches Lied tirilieren,
strahlen die Lichter gar herrlich und kühn.
   Viel länger nun dürfen wir uns nicht besinnen,
   wir laufen, wir eilen, wir fliegen von hinnen.

(→ auch Daktylus in “Vers”; die letzten beiden Zeilen kann man auch als Anapäste oder Amphibrachen lesen; wirkt mit den Stabreimen hier zu reich, leicht kitschig; der Dithyrambus [oder die Dithyrambe] ist ein Weihelied; → auch Ode; Alliteration: Stabreim → Alliteration in “Reim”)

Dionysos

(Dionysos, umgeben von Satyrn), ~480 v. Chr.

Anapäst

In den Kampf, in die Schlacht, auf die Straß,
mit dem grünen, dem heldischen Hemd,
über Kreuzungen bis zum Parnass,
denn die Furcht vor dem Rot ist uns fremd!

(tscha-tscha-bong, tscha-tscha-bong, A-na-päst, A-na-päst; vorwärts stürmend, sehr selten gebraucht, das Heldenhafte erscheint uns heute pompös)

Georg

Der heilige Georg tötet den Drachen
 

 

Amphibrachys

Verliebt in den Lenz, in das lieblichste Grün
da wollt ich, mein Schätzchen, mit dir allein ziehn.
Nun stolpert der Fuß durch den klebrigen Kot:
Ach Ampel, verbrennt mich dein ewiges Rot?

(ein Daktylus mit Auftakt; → auch Amphibrachys im Limerick in “Vers” und Amphibrachys in “Episch”; dieser Vers entspricht dem Walzer; in der Szene Tanz [in der Dorfschenke] aus Nikolaus Lenaus Faust, bekannt durch Franz Liszts Mephistowalzer, wechselt das Versmaß vom “Zweier” [Jambus] zum verführerischen “Walzer” [Amphibrachys], wenn Mephistopheles die Fidel [“Fiedel”] in die Hand nimmt:

        MEPHISTOPHELES.
Zu den Spielleuten.

                                                [Jambus:]

        Ihr lieben Leutchen, euer Bogen
Ist viel zu schläfrig noch gezogen!
Nach eurem Walzer mag sich drehen
Die sieche Lust auf lahmen Zehen,
Doch Jugend nicht voll Blut und Brand.
Reicht eine Geige mir zur Hand,
‘s wird geben gleich ein andres Klingen
Und in der Schenk ein andres Springen!

                                                [Amphibrachys:]

        Der Spielmann dem ger die Fiedel reicht,
Der Jäger die Fiedel gewaltig streicht.
Bald wogen und schwinden die scherzenden Töne
Wie selig hinsterbendes Lustgestöhne,
Wie süßes Geplauder, so heimlich und sicher,
In schwülen Nächten verliebtes Gekicher.

Lenau 2

Lenau 6

(Nikolaus Lenau und Franz Liszt)

Amphibrachys im Limerick

Ein emsiger Dichter aus Emden
erregte beim Leser Befremden.
    Er war ein Chaot
    und ging nur bei Rot,
doch stets trug er grünliche Hemden.


Ein Ampelmännchen aus Minden,
das wollte sein Brüderchen finden.
    Es tat sich bemüh’n
    und rannte in Grün –
kam’s rote, so musst’ es verschwinden.

(tscha-bong-tscha, tscha-bong-tscha; aabba; das leicht Leiernde wirkt hier witzig; → auch Amphibrachys in “Vers” und Amphibrachys in “Episch”; Limerick → Limerick und Wortspiel in “Humor”

(~ 1875)

Limericks lassen sich auch als Strophen längerer Gedichte verwenden; hier ein eigenes Beispiel:

Der versierte Sevërus

(Kritiker der Musik)

Sevërus war nie ein Politiker.
Er war nicht charmant. Er war Kritiker.
    Er trug eine Brille.
    Es ward auch sein Wille
Stets strenger, stets strikter, stets strittiger.

Wenngleich auch als Mensch reserviert
Als Kritiker schien er versiert.
    Da wurde ein jeder
    Mit giftiger Feder
Nach Strich und nach Faden blamiert.

Die Musiker und die Sonaten
Die waren verkauft und verraten.
    Sevërus bewarf
    Sie je nach Bedarf
Mit faulen verbalen Tomaten.

Die Väterchen, selbst die barocken,
Die hauen ihn nicht von den Socken.
    Bei Händel und Bach
    Da bleibt er nicht wach:
“Das ist mir so kalt und so trocken.”

Die klassischen Meister, die Wiener?
Sevërus verdammt sie nach China.
    Den Mozart, den Haydn
    Die kann er nicht leiden:
“Lakaien, Lackaffen und Diener!”

Der Ludwig, Du weißt schon, der van,
Der ist ihm ein seltsamer Mann.
    Kein musischer Kuss;
    Am epischen Fluss:
“Da ist ja nun wirklich nichts dran.”

Und von der Romantik zu schweigen.
Piani-, Cellisten und Geigen,
    Chopin oder Liszt
    Ist alles nur Mist:
“Da tanzen die Ferkel im Reigen.”

Der Schubert, der ist ihm zu lyrisch,
Und Schumann schon fast wieder tierisch.
    Johannes der Brahms
    Das ist so ein Krams:
“Das ist weder phrygisch noch syrisch.”

Zu schweigen von Impressionisten.
Die stehn auf den schwärzesten Listen.
    Fauré und Ravel?
    Welch teuflisch Gebell:
“Das sind Amateurkomponisten!”

Zu schweigen auch von den Modernen.
Draus kann er nun gar nichts mehr lernen.
    Ob Schön- oder Berg –
    Welch scheußliches Werk:
“Die sollte man schlichtweg entfernen.”

Bei einem nur kennt er kein Nein.
Wer ist denn so sauber und rein?
    Wer kann sich erwehren
    Der kritischen Lehren?
Man fragt sich, wer mag das bloß sein?

Nur einer ist himmlisch und fein
Und trägt einen Heiligenschein.
    Den soll man verëhren,
    Den einzigen hëhren
Versierten Sevërus allein.

Kritiker

 

Spondäus

Gift-grün quillt Hemd – blut-rot strahlt Licht – nun ja – geh schon.

(es gibt nur Hebungen: bongbong, aber nicht Bonbon; sehr statisch)

      

        Wassily Kandinsky: Murnau, Straße mit Frauen, 1908

Füllungsfreiheit in der Ballade

Er hat es getragen viele Jahr,
und es leuchtete hell und hehr.
Sein Hemd, das ihm immer am liebsten war,
es grünt schon lang nicht mehr.

Da ist er gewandert manche Stund
auf einem gepflasterten Pfad.
Die Füße, die müden, die lief er sich wund.
Sein Bein ihm schmerzen tat.

Und als die Ampel, die rote, schien,
wurde ihm so weh.
Er wandte sich weg, er wollte entfliehn,
als wenn er sie nicht säh.

Nun ist er verschwunden lange Zeit,
ward nimmermehr gesehn.
Die Ampel, die rote, hat’s bitter bereut.
Sie steht nur noch auf Grün.

(Die Füllungsfreiheit hängt manchmal vom Zahnarzt ab…, aber hier bezieht sie sich auf die freie Anzahl der unbetonten Silben; es können jambische oder “anapästische” Füße sein, doch da man die Jamben dehnt beim Vortrag wirkt es eher wie ein “epischer” Dreiertakt; Chevy-Chase-Strophe: Volkslied aus England, → Theodor FontaneArchibald Douglas”: “Ich hab’ es getragen sieben Jahr, / und ich kann es nicht tragen mehr, / wo immer die Welt am schönsten war, / da war sie öd’ und leer.”; der “epische Dreiertakt” hat nach Jahrhunderten nichts von seiner Frische verloren; vergleiche → Knittelvers)

Theodor Fontane