Auslassung

Ellipse

Möchte heut mein grünes Hemd,
will auch auf die Straße.
Stehe so am Zebra da,
soll dann rasch hinüber.

(…Auslassung…, das kann weg…; ↪ auch Satzgefüge ohne Hauptsatz in “Satz” und Aposiopesis in “Alltag”; …eine seltene Figur? …eigentlich nicht; warum sagen wir “Guten Morgen” und nicht “Ich wünsche Dir, einen guten Morgen zu haben”?; manchmal fühlt man sich gezwungen, etwas aus Höflichkeit wegzulassen: “»Ham and eggs, wenn etwas Warmes nehmen wollen,« empfahl Franz in der höflichen Art Wiener Kellner, die sich lieber die Zunge abbeißen würden, als daß sie es übers Herz brächten, den Gast wie irgendeinen gewöhnlichen Sterblichen mit »Sie« anzusprechen.” [Leo Perutz: Zwischen neun und neun]; beeindruckend allerdings ist die Kunst, etwas zu sagen, indem man es verschweigt; ein extremes Beispiel ist im Konrektor Freese: “Dieses Original hatte sich eine ihm ganz allein gehörige »Freese-Sprache« geschaffen, die schwer erlernbar war und studiert sein wollte. So kam er einst in die Klasse und sagte: »Je – mein lieber Teichen! Schwings Eltern haben mich – und da wollt ich!« […] Ohne förmlichen Kommentar würden Uneingeweihte den Sinn dieser Sätze nie erfassen. Aber wir, jahrelang geschult, wußten genau, was er meinte. Das sollte heißen: »Teichen, Schwing’s Eltern haben mir mitgeteilt, daß ihr Sohn Nachhilfestunden im Griechischen haben solle, und da möchte ich Sie, Teichen, fragen, ob Sie bereit sind, gegen Bezahlung dieses Amt eines Nachhilfelehrers zu übernehmen!« Gewiß eine anständige Leistung einer mündlichen Kurzschrift.” [aus Besonnte Vergangenheit von Carl Ludwig Schleich];

Schleich

Carl Ludwig Schleich, 1880

hier noch ein weiteres Beispiel von mir selbst, ein “ruiniertes” Sonett:

                                Ruiniert

        …. raget aus dem Maul der hohle …..
        ……………… nurmehr verwitterte Ruine.
        Noch kühn …… beschatten ………. Miene.
        …… zerfallen …………………. eitel Wahn.

        ……… wo einst die stolzen ……………
        ….. heut den …..………. ihrer Lanzen.
        ………………………. zu verschanzen
        …….. zeugen ………… rauhen Sitten.

        Indes ……. sprachlos … ringen ihre Hände.
        …………………….. Barden lamentieren
        ……. weh! ………….…. nie sanieren.

        ……………………………….… ausgehaucht.
        ………. ist müde, abgewrackt, verbraucht.
        …………………..…….…………. Ende.

eine ganz andere Absicht als die Ellipse hat die Vorgebliche Auslassung, bei der man ankündigt, etwas verschweigen zu wollen und es bei dieser Ankündigung natürlich absichtlich erwähnt)

Verkürzungen

Aphäresis + Synkope + Synaloiphe (+ Apokope)

Chab’n schmucks ‘emd,
b’nich so v’klemmt.
Heut auf’r Straß
‘s’ne Menschnmass’.
Gott ’s ja fürchlich –
‘n’ Ampl isses, nich?
Je, ‘ch bin ‘n ‘diot!
‘nüber ‘s’ scho Rot!

(Abkleist’rung’n; Shakespeare’s Lieblingsfigur [complain: “The King hath cause to plain”, attentive: “With an attent” ear”, the other: “I’ll take one; you take th’other.”; bei einem Sprachkünstler mag es die Spannung verstärken, aber meist ist das Versmaß Prokrustes und erzwingt diese netten Verstümmelungen; gerechterweise sollte man Verkürzungen mit ein paar “Anklebungen” ausgleichen, denn wo etwas hinweggeraubt muss doch wohl anderes hinzugefügt werden…)

(das Bett des Prokrustes)

Lautveränderung

Metathese

Ich rannte, ja ich raste,
einst in Chorlattenburg
hinab die briete Sraßte.
Ein gnüres Klied ich turg.

Dann leif ich um mien Leben,
denn – tells dir nur mal vor –
ich thate üherseben
das bölde Alpemtor!

(eine kimosche Gifur; Metathese [Metathesis]: Lautveränderung oder Lautvertauschung; hier eine Art Anagramm; vergleiche ↪ Paronomasie in “Reim” und Wortspiel in “Humor”;

Horst Antes: Großes Mauerbild VI, 1966

hier noch ein recht extremes Beispiel von mir selbst:

                            Ich bin bekloppt

Ich bin beknoppt    ich    nich mehr helle,
     Un binoch sonso intelelle.
         Wie kompesenn, dassichetz lalle?
     Ichlau pich hapsenich meralle.
Ich trankoch bolsne Falsche Bier.
     Meigott!     Wie wrids, wie wirzen mir?
         Ich hab ja enien rethcen Klaps!
     Das war kien beir     das     waroch spcnahps.
nhict enie fshalce sndoren zwei
     nu is vobrei –
         ni su

             or     b
    
    
                        i

                                                v
    
    
    
                                                                                                     @
    )

Flasche

Pablo Picasso: Flasche Pernod, 1912

Nachsprechen

Echolalie

Ein grünes Kleid “esklei-tesklei”
das trag ich heut “icheu-ticheu”.
Da wird es Rot “esro-tesro”,
ich sag iwo “kiwo-kiwo”.

Ach geh doch weg “ochwe-kochwek”,
du dummes Echo “eko-ek”.
Und bitte quatsch “ekwatsch-ekwa”
mir nichts mehr nach “erna-herna”.

(das lallende Echo, lallende Echo; Echolalie [Echolalia]: [zwanghaftes] Wiederholen von Sätzen und Wörtern anderer; das zwanghafte Wiederholen eigener Sätze ist die Palilalie [Palilalia]; oh Sch….! Ich vergaß die Koprolalie [Coprolalia], das krankhafte Aussprechen von Obszönitäten)

(eine fraktale Julia-Menge)

Elfchen

Grün
mein Hemd
bei rotem Licht
Soll ich hier stehen?
Rüber!

(elf Wörter in fünf Zeilen: erste Zeile ein Wort, zweite zwei Wörter, dritte drei, vierte vier und fünfte ein Wort)

Elfchen 2

Haiku

Abendsonne
ein Blatt im Wind
zerschneidet sie

(japanische Gedichtform; darf nicht als Metapher gelesen werden)



die Abendsonne
ein Blatt fällt auf das Auge
Sonnenfinsternis


Sonnenfinsternis

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille