Category Archives: Vers

Drei Doppelfüße

Drei Dipodien im jambischen Trimeter

In Grün das Kleid, in Stein die Straß’, in Stumpf der Sinn,
so schlurfe ich, so schlepp’ ich mich dahin, dahin.
Es klebt die Zunge, klebt verdorrt im trocknen Mund.

Da winkt’s wie eine Palme vom Oasengrund –
wie hoch ihr Stamm, wie stumm ihr Blick, doch hehr und hell!
Belebter eile ich erquickt von hinnen schnell.

(besser ohne Reim, doch ich konnt’s nicht lassen; wenn man das Versmaß strikt einhält fängt’s an zu leiern, hier durch allerlei rhetorische Figuren [Alliteration z.B.] vermieden; vergleiche → Tetrámeter)

(Henri Rousseau)

Sechs Füße im Alexandriner-Sonett

Du trägst dein Hemd in Grün? Du springst so frisch und heiter,
gar wie ein junger Hund? Ach geh, du bist ja alt!
Dein Rücken ist gekrümmt, dein Frühling harsch und kalt;
verstohlen blüht er noch, doch ist’s ja nur dein zweiter.

Du galoppierst bei Rot – ein Pferd und ohne Reiter?
Du find’st das toll und gut? Ja wart, da liegst du bald
in deinem eignen Blut! Wenn’s auf der Straße knallt,
dann geht das Leben aus, – kaputt, vorbei, nicht weiter.

Drum fass dich in Geduld. Drum bleib nur hübsch bescheiden;
fällt uns dein Alter auf, gefällst du, Alter, nicht.
Sing Alexandr’en nicht, die klingen wie Geleier.

Red nie zu alt und klug; erspar uns dein Geseier.
Geh brav in dunklem Wams, geh nur bei grünem Licht.
So bist du lieb, mein Freund, so mögen wir dich leiden!

(→ Gryphius:”Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. / Was dieser heute baut, reist jener morgen ein: / Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein / Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden:” [Es ist alles eitel]; ideal für Moralpredigten; die Zäsur nach der sechsten Silbe in jeder Zeile wirkt vernichtend; sehr antithetisch; vergleiche → Italienisches Sonett und Englisches Sonett)

Andreas Gryphius

Sechs Füße im epischen Hexameter

Mächtig läutet es schon zum frühen Morgengebete,
wenn ich im grünen Anzug gemessen und feierlich schreite.
Schau, im Morgen glänzt die Chaussee, die sauber polierte,
all die Blätter der Bäume, sie glänzen, sie strahlen. Das helle
Licht der saftigen Ampel, sein Rot, leuchtet verlockend.
Und ich schreite gemessenen Schrittes im Morgengeläute.

(“epischer Hexameter”: das klassische Versmaß der epischen Dichtung → Voß/Homer: “Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung, / Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat, / Und auf dem Meere so viel’ unnennbare Leiden erduldet, / Seine Seele zu retten, und seiner Freunde Zurückkunft.” [Odyssee]; sechs Füße, feierlich strömend, “antik”; → Daktylus)

Homer [links] und Johann Heinrich Voß

Sechs Füße im Distichon

Hexameter und Pentameter im Distichon

Kühn im Grünhemde schwillt des Helden heiliger Heißmut.
Bei dem Rotlichte schon, schreitet er stoisch und stolz.

In der Grünhose schwillt des Helden mächtiger (Hochmut).
Leider beim Rotlichte dann …, schrumpfet er schimpflich zusamm’n.

(Distichon [Distich, elegisches Couplet]: ein Verspaar [Hexameter und Pentameter]; nicht zu verwechseln mit Distichomythie; → “Xenien” Goethes und Schillers; wirkt “antik”, leicht pompös; in seinen Liebesgedichten [Amores] entschuldigt sich Ovid für seine elegischen Distichen; er habe im heroischen Vers [Hexameter] Schlachten besingen wollen, aber Cupido habe ihm einen Fuß aus dem unteren Vers gestohlen [Pentameter], so dass er nun die Liebe besingen müsse:

    “Waffen und Schlachtengedröhn zu singen in wuchtiger Versart,
        War mein Beginnen: dem Stoff sollte entsprechen die Form.
    Gleich lang waren die Verse; da lachte Cupido und heimlich
        Stahl er dem unteren Vers einen der Füße hinweg”

    […]
    “Wehe mir! Sichere Pfeile besaß der Knabe: ich brenne
        Und in der friedlichen Brust tobt schon der Liebe Gewalt.
    Sei’s, sechsfüßig denn hebe mein Vers sich, er sinke mit fünfen –
        Eiserne Kriege, lebt wohl, sammt dem heroischen Vers!”

    […]
                                                [übersetzt von Hermann Oelschläger]

dem Pentameter fehlt eigentlich gar kein Fuß sondern nur die Senkungen nach der dritten und sechsten Hebung; er wirkt wie eine Kadenz oder ein Fazit nach dem bewegenden Hexameter; zur Zäsur nach der dritten Hebung vergleiche auch → Alexandriner in “Vers”)

Publius Ovidius Naso [Ovid]

Sechs Füße in der Odenstrophe

(+ Alliteration + Assonanz)

Hör den hässlichen Lärm, höre das Hohngeschrei.
Wie in höllischem Wahn tobt die Dämonenstadt.
    Weiter, weiter und weiter –
    nie entflieh ich dem Teufelskreis.

Oh, wie schmerzet der Fuß, tun mir die Ohren weh,
schmilzt das grüne Gewand schmierig auf müder Haut!
    Wenn das Rote mir leuchtet,
    flieh ich hastig die grause Stadt.

(Der Inhalt sollte eigentlich feierlich sein; kann pompös wirken, hier durch expressionistische Bilder vermieden; “asklepiadeisch”: nach dem griechischen Dichter Asklepiades; vergleiche → Dithyrambus; Alliteration: Stabreim → Alliteration in “Reim”, Assonanz: Anklang → Assonanz in “Reim”)

William Ralph Turner: City

Sieben Füße

Mein Hemd ist grün, so grün wie eine bittere Melone.
Ich ginge lieber nackt, ich ginge lieber oben ohne,
vielleicht sogar in Rot, in einem rosenroten Kleid.
Es strahlt wie Ampelrot, wenn ich die Kreuzung überschreit’.

Kees van Dongen

(bei weiblicher Endung durch die Pause eigentlich achthebig; selten benutzt; längere Verszeilen fallen meist auseinander; mein Beispiel könnte auch so aussehen:

     Mein Hemd ist grün, so grün
     wie eine bittere Melone.
     Ich ginge lieber nackt,
     ich ginge lieber oben ohne,

     vielleicht sogar in Rot,
     in einem rosenroten Kleid.
     Es strahlt wie Ampelrot,
     wenn ich die Kreuzung u¨berschreit’.

würde so allerdings kurzatmiger wirken)

Vier Doppelfüße

Vier Dipodien im Tetrámeter

Regen, Regen auf die Dächer, auf der Straße nichts als Regen –
in der Nässe, unterm Schirme, schlottre ich im grünen Hemd,
nackte Autos, feucht und schlüpfrig, schlittern durch die trüben Pfützen,
aus den Gullys quillt das Wasser, Wasser rinnt aus allen Rohren
auf die Wege, auf die Straße, und die Kreuzung ist ein Teich.
Durch das Wasser, unterm Wasser, wate ich bei Rot hindurch.

(um dem Leiern zu entgehen, liest man sehr schnell; fast schon wie Durchfall; vergleiche → Trimeter)

Childe Hassam: Rainy Day

Acht Füße in der Moritat

Hör die grässliche Geschichte
   von dem Mann im grünen Hemd,
der, in einer Menschenmenge
   und bei Rotlicht eingeklemmt,
sich ganz frech hindurch gezwängt,
   unverfroren und – verschämmt.


Erfreue dich, günstiger Leser, der grünen
   Geschichte des Unholds im grausen Gewand.
Vernimm, wie der Böse sein Ende im eigenen
   Blute und Roten beim Gehverbot fand.

(Moritat, “Mordtat” → Bänkelsang: grausig-witzig)

Moritat (1)

Honoré Daumier: Moritatensänger

Enjambement

Heut hab ich ein neues
Hemd mit grünen Streifen
an, und ich bereu es

nicht; jedoch begreifen
kann ich kaum, warum es
hier beim Zebrastreifen

ewig rot bleibt. Krummes
Hindernis! So’n mieses
Gehverbot, ein dummes

Zeug ist das, ein fieses!
Rüber wie der Zeilen-
sprung – nur nicht verweilen!

Zebra

(Zeilensprung, man fühlt sich atemlos hier, da die gewohnte Pause am Zeilenende unterbleibt; ↪ auch Kettenreim in “Reim” und Enjambement in “Episch”; ein lustiges Beispiel ist die Visitienkarte eines tschechischen Dichters, der hauptberuflich Selchermeister war: “Michal Mareš, welcher / Dichter ist und Selcher” [Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch])