Schüttelreim

Meist blickt durch seine Brille wütend
und über Reimen, Wille, brütend
ach, wie sich dieser Hüne grämt!
Doch heut trägt er das grüne Hemd.
Man sieht ihn auf der Straße neben
den Autos durch das Nasse streben
und rasch, mit viel Gehampel, eilen.

Da will ihn eine Ampel heilen.
Ein jeder bleibt im Drange stehn,
darf sich nicht um die Stange drehn.
Doch, kein Verehrer trüber Ampeln,
muss Wille stur hinüber trampeln.
Darf man mit Grün das Rot vertauschen?
Die Seele wird im Tod verrauschen!

(witziger Effekt; dieser Reim passte auch ins Kapitel “Akrobatik”; ein Rezept zum Finden von Schüttelreimen: 1. finde ein Reimwort [z.B. “Brille” auf “Wille“], 2. finde ein weiteres Reimpaar mit den gleichen Anfangskonsonanten wie das erste Paar [z.B. “brütend/wütend”], 3. verbinde über Kreuz [“Brille wütend/Wille brütend”], 4. erfinde zwei sinnvolle Verslinien [siehe oben]; “grämt/Hemd” ist leider ein sehr unreiner Reim

hier noch ein weiters Beispiel von mir selbst:

              Teuflische Einflüsterung

                   (satanisch geschüttelt)

        Was liest Du den Aristophan?
        Willst Du den Witz nur fade mischen?
        Mach Dich mal an Mephisto ran.
        Du musst mit fetter Made fischen!

        Ach, spüre wie der Frust erlischt,
        Wenn wir Dir dreiste Lieder flüstern.
        Es blühet Deine Lust erfrischt
        Und freudig wie der Flieder lüstern.

        Santé! Trink mir vom hellen Bier
        Und spür Dich alkoholisch beben.
        Gleich magst Du munter bellen hier.
        Das soll Dich diabolisch heben.

        Sei Satanist und rauche Hasch.
        Lass Deinen Geist recht teuer fauchen.
        Doch Deine Seel verhauche rasch,
        Damit wir sie ins Feuer tauchen.

Mephistopheles

Eugène Delacroix: Méphistophélès dans les airs, 1828

im Kreuzreim übrigens wirkt der Schüttelreim nicht mehr ganz so aufdringlich wie im Paarreim; sogar halbwegs sinnvolle Verse sind nicht unmöglich:

                   Der verschüttelte Dichter

        Frischauf, an meiner Schand gerüttelt!
        Schon schien ich, scheint mir, recht verschleimt.
        Leis hab ich mich am Rand geschüttelt
        Doch leider, fürcht ich, schlecht verreimt.

        Ganz ohne Ironie gesagt:
        Mein Reim, der sich am Stab vergreift,
        Hat an der Poesie genagt,
        Die grau vor Gram im Grab versteift.

        Da ist mir, ach, beim Bilder Weben
        Der Vers aus seiner Zucht geschlittert.
        Will auch der Rhythmus wilder beben,
        Schlimm ist er durch die Schlucht gezittert.

        Zwar sieht man manch Metapher schlau
        Aus diesen öden Stanzen winken.
        Erkaltet bald, wie schlaffer Tau,
        Wird sie nach schnöden Wanzen stinken.

        Nun sprießen mir recht bange Klauen;
        Die sollen flinke Triller schreiben,
        Gewandter dann am Klange bauen,
        Es noch rasanter, schriller treiben.

        So wachsen mir die Dichterranken
        Wie wilder Wein am Rebenstrauch.
        Nie wirst Du mir, mein Richter, danken.
        Dir scheint solch eitles Streben Rauch.

                                                                        [RPW]

eine Sonderform des Schüttelreims ist der “doppelte Schüttelreim” [“Quadrupel-Schüttelreim”], bei dem auch noch die Vokale geschüttelt werden [“Innenschüttler”]; hier ergeben sich also vier Verse pro Reim [“Schiene meiden / Miene scheiden / Scheine mieden / meine schieden”]:

                            Scheidung

        Da steht er auf der Schiene leider.
        Es heißt hier: Von Pauline scheid er.
        Nun singt er nur zum Scheine Lieder,
        Denn einsam und alleine schied er.

        Laßt uns hinfort die Schiene meiden,
        Wo wir mit bittrer Miene scheiden,
        Wo wir nicht Dollarscheine mieden,
        Doch Du und ich, oh Meine, schieden.

        Und lausch nicht dieser Scheiben Lieder.
        Nicht um sich zu entleiben, schied er.
        Uns schafft der Rechenschieber Leiden.
        Adieu, wir sollten lieber scheiden.

                                                                [RPW])