Ein Verb regiert Verschiedenartiges

Syllepse

Ich ging, ich schlenderte vergnügt und rege,
mein Hemd so grün und Hoffnung, auf dem Wege.
Urplötzlich aber leuchtet was wie Blut.
Wie ist die Ampel rot und meine Wut!
Fällt mir nicht etwas ein dann auf den Hut;
rasch renne ich mit heißem Kopf und Mut.


(Wilhelm Busch)


(↪ Syllepse in “Spannung” und Syllepse in “Geistreich”; er steht vor der Tür und der Frage: “Dschingo stand außer vor der beharrlich verschlossenen Badehütte auch vor der Frage, wie er jetzt von Kritzendorf nach Wien kommen sollte.” [Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch]; statt “warum der Notar nicht auf der Stelle in Ohnmacht fiel” schreibt Jean Paul Richter in Flegeljahre: “warum der Notar nicht auf die Stelle fiel und in Ohnmacht”)

Satzmitte bezieht sich auf Beginn und Ende

Apokoinu

Ich trug das grüne Hemd und das verkehrte,
(ein Narr ist der da grüne Hemden trägt),
beging die Straße und ich überquerte.
Rot war die Ampel hat mich aufgeregt.

(Dies erinnert an [einen Januskopf] trägt die Figur; “Rot war die Ampel” + “Die Ampel hat mich aufgeregt” = “Rot war die Ampel hat mich aufgeregt”; “Das ist doch ein Unding ist das!”; “Ich werde nie reich mir doch mal den Kaviar, Liebling!” [hier sind sogar drei Figuren vermischt: Kalauer, Apokoinu und Paradox]; ↪ auch Satzumbau in “Episch”, Satzbruch in “Alltag” und Ellipse in “Selt aber würdig”; auch Zeugma ist verwandt: Prozeugma in “Geistreich” und Hypozeugma in “Humor”)

Peter Koch: Im Streit mit dem zweiten Ich, 1951

Einschub zwischen Präposition und Objekt

Hysterologia + Tmesis

Als ich mit diesem, wie du weißt, sehr grünen Kleid
und stur auf jener, ja du rätst es, Straße ging,
da tat es mir, ich muß es wirklich sagen, leid,
dass ich es immer noch, zum Teufel, trag das Ding.

Als ich an der, wie ich schon sagte, Ampel stand
in meinem grünen, Mensch nun aber Schluss, Gewand,
da ging ich dann bei, ja verflucht noch eins, bei Rot.
Jetzt muss ich mich gleich über- (schlag mich) geben (tot).

(Straßenkunst)

(die Figur der letzten Zeile ist zum Glück noch nicht erfunden, oder?; Hysterologia: oft gleichbedeutend mit Hysteron-Proteron; hier Einschub eines Satzes zwischen Präposition und Objekt; vergleiche auch ↪ Parenthese [Einschub] in “Geistlos”; Tmesis: ↪ Wortzerschneidung in “Selt aber würdig”)

Gegen die Zeit

Anachronismus, Hysteron-Proteron

Über die Straße bei Rot ging und ein Hemd, ein grünes, trug ich.


Dann lief bei Rot ich ungehemmt
und fasste mir ein Herz.
Ich trug ein grünes Oberhemd
und machte mir den Scherz.


Fritz rannte einst in Grün bei Rot.
Er ist begraben jetzt und tot.

(“ich will nun schlafen und nach Hause gehen…”; gegen die Zeit; zuerst das Letzte, zuletzt das Erste; auch Umkehrung einer Formel [Hendiadyoin]: “begraben und tot” statt “tot und begraben”, klingt ein wenig sarkastisch hier; besonders das erste Beispiel kann auch als Satzumbau gesehen werden, ↪ Satzumbau in “Episch” und Satzumbau in “Selt aber würdig”

(Rolf-Peter Wille)

das folgende ironische Beispiel stammt aus Goethes Faust: Marthe: Was bringt Er denn? Verlange sehr – // Mephistopheles: Ich wollt, ich hätt eine frohere Mär! – / Ich hoffe, Sie läßt mich’s drum nicht büßen: / Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen. // Marthe: Ist tot? das treue Herz! O weh! / Mein Mann ist tot! Ach ich vergeh!)

Mephisto und Marthe

Emil Jannings als Mephisto und Yvette Guilbert als Marthe
in Friedrich Wilhelm Murnaus Faust – eine deutsche Volkssage, 1926

Verneinung des Gegenteils

Litotes

Ein blaues Kleid trug ich wohl kaum
lag auch im Bette nicht zu Haus.
Kein Kreisel war’s. Es stand kein Baum.
Das Licht – nicht gelb – ging niemals aus,
das grüne konnte man nicht sehn,
und ich nicht länger stille stehn.

(auch meine Wenigkeit ist kein Verächter dieser nicht uninteressanten Figur; nicht selten auch doppelte Verneinung; eine Lieblingsfigur, übrigens, des Chinesischen: “sehr gut” ist meist “nicht falsch” [不錯] und dieses “nicht falsch” lässt sich sogar steigern zu “noch mehr nicht falsch”, “besonders nicht falsch” [非常不錯], usw.; ↪ auch Tiefstapeln in “Geistlos”

Epigram über einen schlechten Sänger von Samuel Taylor Coleridge: “Ein Schwan der singt bevor er stirbt – es wär / Nicht schlecht, wenn jemand stirbt bevor er singt.” (nicht nur Litotes [keine schlechte Sache] sondern auch fünfhebiger Jambus [den ich hier übersetzt habe], Chiasmus [singen/sterben – sterben/singen] und Sarkasmus!)

ein gesteigerter Litotes kann auch noch den Superlativ verneinen: “Die Pflichten gegen uns selbst sind die wichtigsten und ersten, und also der Umgang mit unserer eigenen Person gewiß weder der unnützeste noch uninteressanteste.” [Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge: Über den Umgang mit Menschen])

Knigge

Verwechslung

Hypallage

Ich sage mir, drum glaub es dir,
wenngleich ich dich nicht frug:
Ein Hemdlein ging so grün auf mir,
als ich die Straße trug.

Da fiel mein Auge mir, oh Schreck,
grad in das Ampellicht,
rot lief mir das Verbot hinweg,
verlor mich mein Gesicht.


Willst Ampelrot du überstrampeln
solltest du in Hemdgrün hampeln.

Marc Chagall: Der Spaziergang, 1917

(es verwechselt mich; “verschobenes Epitheton” [nicht “mein Gehen” ist “grün” sondern mein “Hemd” und es “ging” nicht “auf mir” sondern “ich” “auf der Straße”]; häufig bei Schiller: “der Lieder süßen Mund” [Die Kraniche des Ibykus], “der Saiten goldnes Spiel” [Kassandra]; die Güte des folgenden Beispiels, einer originellen Vermischung von Ellipse und Hypallage, verdanke ich Herrn Steigertahl, meinem Deutschlehrer: “Hättest du die Güte des Kaffees?” [für “wärest du so gut, mir den Kaffee einzuschenken?”]; → auch Hypallage in “Episch”)

Steigertahl

Hans-Joachim Steigertahl, Neue Oberschule Braunschweig, 1973

Haupt- als Zeitwort

Anthimeria (+ Hypallage)

Als Grünanzieher straßte ich
in einem Hemd der Hässlichkeit
und ampelnd überraste ich
die rötliche Unpässlichkeit.

(ich figurte so vor mich hin, ↪ auch Anthimeria in “Lyrisch” und Metallage in “Dramatisch”; zwei weitere Beispiele aus Shakespeares Hamlet: “Up from my cabin, / My sea-gown scarf’d about me, in the dark” [“scarf”, “Schal” ist hier als Zeitwort benutzt]; “And thus the native hue of resolution / Is sicklied o’er with the pale cast of thought,” [“sick”, “krank” ist hier ein recht verrücktes, ein angekränkeltes, Partizip: “is sicklied over”, “ist überkränkelt”?; Hypallage ↪ Verwechslung in “Selt aber würdig”)

Hamlet

(Titelseite der Hamlet-Ausgabe von 1605)

Klangdehnung

Tasis

Grühün ist mir zuwider!
Drum geh bei Rrrot ich rrrüber.

(vergleiche ↪ Lautmalerei [Onomatopoesie] in “Geistlos”;

(Charlie Rivel als Akrobat schööön, 1943)

auch Frau Mahlzahn aus Kummerland bedient sich dieser interrresssssanten Figurrrrr: “„Achchchch!” stieß der Drache überrascht hervor, und ein boshaftes Grinsen verbreitete sich langsam über sein warzenbedecktes Gesicht. „D  u  u  u  u  u   bist das also, mein Herzzzzzchen! Ich habe dichchch schon seit langer Zzzzzzeit erwarrrrrtet.”” [Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer]

Jim Knopf

Anklebungen

Prothese + Epenthese + Paragoge (+ Tasis)

Im Parke, wo ich im Gehitze
vergrünter Hemden mich beschwitze,
da, im Gemenge, im Geleute,
verdrängeliere ich mich heute.
Da vorn die Ampel wird rohot –
oh neiheihein, Ichidiot!
So ein verdummedammter Dreck!
Diese Verampelung muss weg!
Ich kaputtiers nicht, ich enteile,
bevor ich mich hier noch zerweile.

(Angekleisterungen; Prothese [Prosthesis]: zum Anfang des Wortes [“beschwitze”]; Epenthese [Epenthesis]: in die Mitte des Wortes; Paragoge: zum Ende des Wortes [“verdrängeliere”]; Tasis: ↪ Klangdehnung in “Selt aber würdig”; die Wirkung hier ist lustig oder albern, ↪ auch Paronomasie in “Reim” und Paronomasie in “Humor”; das Gegenteil sind die Verkürzungen

(Jake the Peg with his Extra Leg [ein Handschuh wird in den rechten leeren Ärmel gesteckt und die rechte Hand hält das falsche Bein an einem Besenstiel im Mantel])

hier noch ein “gekleistertes” Sonett”

                       Silbenkleisterei

         (Antwort auf die Silbenscherereien)

    Nix Schererei! Man soll die Sileben
    jederozeit ans Worte kleisteren,
    somit die Dichterer (die dreisteren)
    es meisteren, nicht zu vergileben.

    Zum Anfang lässt sich leicht was dárankleben –
    ganz ohne Probelem in die Mitite;
    beim Endero ist’s ohnehin Sitite
    und gar nicht seleten da da daneben.

    Drum kleistre und kelebe immer munter:
    Es reißet dich heraus aus dem Gewühel!
    Die Verse klingen bunt und stets buhunter.

    Erwache, oh du heheres Gefühel
    und holderer wihink’ dir die Guhunest
    der heil’gen Sonotettenkuhuhunest!

                                                                [RPW])

Kofferworte

Portmanteau

Schlamotten trag ich heut – in Grün!
Werd mich durch die Stragassen ziehn.
Schau, die Verdampel da rotiert.
(Doch ich hab mich hindurch schlaviert.)

(Kofferworte, die Teile zweier (oder dreier?) Wörter sind in einen “Koffer” “gepackt” und wachsen zusammen; Frankensteins Frankenworte; “Schlamotten”: schlampige Klamotten“; “Verdampel”: Zusammenziehung von “verdammte Ampel”; eigentümlicher ist ein Kofferwort, bei dem man die Ursprungswörter nicht genau bestimmen kann, wie bei manchem aus dem Jabberwocky von Lewis Caroll

Jabberwocky

(aus Lewis Carolls Jabberwocky [“‘Twas brillig, and the slithy toves / Did gyre and gimble in the wabe; / All mimsy were the borogoves, / And the mome raths outgrabe.”], 1871)

hier noch ein weiteres Beispiel von mir selbst:

            O du schnoldes Sankristânien!

        Warum in der Stube schnocken?
             Weite deinen Geist, mein Kind!
             Komm, ich mach mich auf die Socken,
             Greife meinen Stock geschwind.
        Reise rasch nach Sankristânien,
             Will die frischen Lanien schnuppern,
             Wandeln unter den Kastanien
             Und am Summovare schlubbern.
        Denke meiner Seel zu frieden,
             Dünke mich im Paradeis.
             Nur der Poesie zu schmieden
             Sei mein heiliges Geleis.
        Ach, wie arg ist mein Verzachen!
             Niemals hätt es mir geschwant.
             Unter Lanien blummern Rachen,
             Schwitz geschweift und blut gezahnt.
        Und am Grab von Nosfurater
             Weht der wilde Wandolei
             Schmerzgewallet wie ein Pater
             Aus der schmären Sangristei.
        Und es schlattern all die Fläuse,
             Schliff gesimmt im flugsen Flor.
             Schrauelig durch die Kartäuse
             Siriliert ihr Sabbachor.
        O du schnoldes Sankristânien!
             Hätt ich dich doch nie bereist!
             Lebet wohl, ihr holden Lanien!
             Lebe wohl, poëtscher Geist!
        Wozu in die Ferne schweilen?
             Treue stets dem trauten Häum.
             Ja, hier darfst du dich vertreilen,
             Selig und in sachter Säum.
)

Nosfurater

Szene aus Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, 1922

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille