Katachrese + Prosopopöie
Als mich ein grünes Hemd besticht,
da, plötzlich, schlägt mir ins Gesicht
von einer Ampel rotes Licht.
Ich schieß zurück und warte nicht.
Grün brennt das Hemd mir auf der Brust.
Da, plözlich, küsst in wilder Lust
ein roter, roter Ampelmund
mein Äugelein. “Welch süßes Glück!”,
denk ich und küss zurück.
Entzündet schwillt mein grünes Hemd mir wie die Gicht,
da trinkt mein Aug aus einer Ampel rotes Licht,
und ich, der Haifisch, beiße mich durch das Gedicht.(Bildbruch, wenn sich der Leser er- und das Bild zerbricht, ↪ auch Bildvermischung in “Spannung”; auch “Kitschbild” und pathetische Stilblüte: das “von den Strahlen deutschen Märtyrertums vergoldete Innstädtchen [Braunau]” – Adolf Hitler Mein Kampf [der “strahlende Märtyrer”, “aus Blut mach Gold” sowie das pompöse “Märtyrertum” im verniedlichten “Innstädtchen” haben sich hier religiösen Kitschbildern entblutet]; Prosopopöie [Prosopopoeia]: Personifikation; vergleiche Metapher + Simile in “Lyrisch”; ↪ auch Fabel in “Episch”)
(eine “verkitschte” Schmerzensmutter) Gegenfall
Antiptosis
Natürlich ging ich, wie ich bin,
im Grün des Kleids so vor mich hin;
nur manchmal musst’ ich mich bemühn,
das grelle Licht des Rots zu fliehn.(aus Botticellis Primavera, 1482)
(Antiptosis [Antiptose]: “Gegenfall”, grammatische Verschiebung, hier Ersetzung durch Genitiv, “das Wunderbare der Figur” [statt “die wunderbare Figur”]; vergleiche ↪ Hendiadyoin in “Lyrisch” und Enallage in “Abwertend”)Zwillingsformel
Hendiadyoin
Ich ging im Mai, im wunderschönen,
mit meinem Anzug und dem Grünen.
Davon lief ich der Ampel und dem Roten.
Noch warten dort die Seelen und die Toten.
Er ging in Grün und Gift
durch eine Metropol,
war sehr gelehrt und Schrift,
trank auch viel Alkohol.Bei Licht ging er und Rot
nur auf’s Geratewohl.
Nun kämpft er und liegt tot.
Dass ihn der Teufel hol!Oskar Kokoschka:
Baron Viktor von Dirsztay, 1911(Hendiadyoin [Hendiadys]: zwei [Wörter] für eins, “die Figur und das Wunderbare” [statt “die wunderbare Figur”]; oft eine feststehende Formel mit Reim, Alliteration oder Assonanz [“Schimpf und Schande”, “Sack und Pack”]; → auch Tautologie in “Geistlos”; vergleiche → Antiptosis in “Lyrisch”; eine feststehende Formel kann leicht in eine Antiptosis verwandelt werden: “ich verlor mit dem Schimpf meiner Schande” [statt “mit Schimpf und Schande”]; das Resultat ist ironisch; auch eine Umkehrung wirkt ironisch: “Er ist begraben und tot” [statt “tot und begraben”])
Wiederholung des gleichen Anfangs
Anapher (+ Prosopopöie + Antitheton)
Grün sangen Bäume
als ich in den Frühling trat,
grün sang mein Hemd,
grün meine Hoffnung.Wie bald verführte doch
das schnolde Rot der Ampel meine Sinne!
Wie bald schritt ich hinüber schon,
wie bald das Ende!(Anna gut – Anna hübsch – Anna fair; Anapher [Anaphora]: Wiederholung des gleichen Anfangs[wortes] in aufeinander folgenden Versen, Zeilen, Sätzen, etc.; eine sehr wichtige Figur; die Regel “wiederhole Wörter nicht” ist Unsinn; es ist im Gegenteil die Wiederholung – wie in der Musik auch – die Wiederholung ist es, welche sich einprägt, welche auffällt, welche überzeugt; das folgende Beispiel ist die Einleitung des berühmten “Knigges” [Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge: Über den Umgang mit Menschen]: “Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf schütteln müssen. // Wir sehen die feinsten theoretischen Menschenkenner das Opfer des gröbsten Betrugs werden. // Wir sehen die erfahrensten, geschicktesten Männer bei alltäglichen Vorfällen unzweckmäßige Mittel wählen, sehen, daß es ihnen mißlingt, auf andre zu wirken, daß sie, mit allem Übergewichte der Vernunft, dennoch oft von fremden Torheiten, Grillen und von dem Eigensinne der Schwächeren abhängen, daß sie von schiefen Köpfen, die nicht wert sind, ihre Schuhriemen aufzulösen, sich müssen regieren und mißhandeln lassen, daß hingegen Schwächlinge und Unmündige an Geist Dinge durchsetzen, die der Weise kaum zu wünschen wagen darf.” [vergleiche auch ↪ Perioden in “Satz”]
das Gegenstück zur Anapher ist die Epipher; die Verbindung von Anapher und Epipher ist die Symploke und die Wiederholung der Kadenz durch den Neuanfang die Anadiplose; Prosopopöie ↪ Personifikation in “Lyrisch”; Antitheton: Gegensatz, ↪ auch unter Epitheton in “Lyrisch”)
Haupt- als Zeitwort
Anthimeria (+ Imperativ + Apokope)
Sumpfe nicht in sauren Mühn.
Draußen lenzt es gras und grün!
Geh mal mit der Sonn’ spazieren,
heb das Herz, erfrisch die Nieren.
Web dich aus dem Netz der Spinn’
und entklebe deinen Sinn.Dumpfe nicht im trüben Schlick,
doch entstier den stumpfen Blick!
Schwing dich über die Alleen,
schwitze dich durch die Chausseen.
Pflück dir eine grüne Ros’,
blüh sie dir auf deine Hos’.Strumpf nicht durch die feuchte Pfütz’.
Durch die Wälder streif als Schütz’!
Schieß den Honig der Melone,
steck dir Lorbeer an die Krone.
Trumpf dich auf den Blätterthron,
bette dich in roten Mohn.(Anthimeria [Antimeria, Antimerie]: grammatisches Umfunktionieren, z.B. Haupt- wird Zeitwort, Lieblingsfigur Shakespeares [“I’ll unhair thy head”], das krasse Gegenteil zur “Funktionssprache”, hier verbiegt die poetische Idee alle Regeln, ↪ auch Anthimeria in “Selt aber würdig” und Metallage in “Dramatisch”; Imperativ ↪ auch Ausruf in “Dramatisch” und Gottesanrufung in “Pompös”; Apokope: die letzte Silbe des Wortes ist weggeschnitten ↪ auch Verkürzungen in “Selt aber würdig”)
(William Shakespeare) Umbenennung
Synekdoche, Metonymie (+ Anacoloutha + Acoloutha)
Die grüne Seide auf dem Körper klebend
liebwandelt zwischen Köpfen meine Wenigkeit,
als der Poet, wohl mit sich selber redend,
das Warnlicht übersieht in seiner Dämlichkeit.
Es grünt die Seide auf der Haut,
der Riechstoff ist vom Schweiß versaut.
Rot hat die Wut sich angestaut,
als mir ein Licht die Zeit geklaut.(sag’s anders, Lieblingsfigur der Zeitungsreporter, die – wenn sie im ersten Satz “der Elefant” schreiben – im zweiten sicherlich “das Rüsseltier, im dritten unbedingt “der Dickhäuter”, im vierten wohl sogar “der Pachyderm” schreiben müssen; die Wirkung ist meist recht künstlich; Synekdoche [Synecdoche]: Ersetzen des Ganzen durch einen Teil [Pars pro toto], z.B. “zu sechs Händen” [statt “für drei Pianisten”]; Metonymie: Ersetzen eines Begriffes durch Verwandtes, z.B. “Riechstoff” statt “Parfüm”; Anacoloutha: nicht-reziprokes Synonym, z.B. “Licht” für “Ampel” [aber nicht “Ampel” für “Licht”; der Herrgott sprach nicht: “Es werde Ampel!”]; das Gegenteil, ein reziprokes Synonym, ist Acoloutha, z.B. “Klavierspieler” für “Pianist”; verwandte Figuren → Metapher in “Lyrisch” und Metalepsis in “Humor”)
Episch
Einleitung
Paradiegesis (+ Ironie)
Es lebte einst in altem Land
ein Dichter namens Hildebrand.
Der war ein Sänger und Rhapsode,
sang von der Liebe und vom Tode.
Er sänge auch, wenn er noch lebte,
vom grünen Panzer, der dir klebte,
auf deiner heldenhaften Brust,
von deiner kecken Kampfeslust
und – gehst du weiterhin bei Rot –
er sänge auch von deinem Tod.
Aber nicht selten lesen wir leider in heimischer Zeitung
grausige Nachrichten: wachsendes Chaos auf unseren Straßen.
Wie ich erst gestern am eigenen Leibe es selber erfuhr,
als auf der Kreuzung ein rasendes Auto mich beinah erwischte,
hätte mich nicht das leuchtende Grün meiner Weste gerettet.(einleitende Erzählung, Introduktion; wie in der Musik oder im Film soll uns die Einleitung zum Weiterlesen, oder -hören, oder -schauen verführen; oft spielt das Erzählte hier in einer ganz anderen Zeit und behandelt ganz andere Ereignisse als das eigentliche Werk; Ironie ↪ Ironie in “Lyrisch” und Ironie in “Humor”)
Fabel
Es hüpfte einst in grüner Tracht
ein Fröschlein durch des Frühlings Pracht
und freute sich der Wiese.
Wie kunterbunt war diese!Doch floss durch diese Wiese, ach,
ein ziemlich wilder Wirbelbach
und’s Wasser rauschte schaurig.
Da stand das Fröschlein traurig.Und neben ihm ein Fabeltier,
ein riesenhafter Himmelsstier,
stand an dem wilden Bache
und fauchte wie ein Drache.Rot funkelte sein Augenlicht.
“Was suchst du hier, du grüner Wicht?”
so schnaubte wild der Riese.
Es zitterte die Wiese.Da sprang das Fröschlein in die Flut
und kämpfte sich mit Todesmut
durch Wellen und durch Wogen.
So ward der Stier betrogen.(meist Erzählung mit [menschlichen] Tieren [Tierfabel] und moralischer Schlusspointe, hier: mit Mut kann der Schwächere [Frosch] auch Stärkere [Stier] besiegen; ↪ auch Personifikation in “Lyrisch”; die Fabel hat nichts von ihrer Frische verloren)
(Jean-Jacques Grandville, 1842)
Erinnerung + gute Ratschläge
Anamnesis + Diatyposis (+ Amphibrachys + Alliteration + Klimax)
Als Schüler da war ich ein scheußlicher Bengel,
ein schludriger Schlingel, kein artiger Engel,
ein Scheusal, ein Dummkopf, ein Böser, ein Wicht:
Ich hörte die Worte der Lehrerin nicht.“Sei fein und adrett, doch stets vornehm bescheiden,
zu farbige Hemden, die sollst du vermeiden,
sei wach auf der Straße, geh niemals bei Rot!”
Das sagte die Gute – schon lang ist sie tot.Doch kaum kommt die Pause, da spür ich ein Jucken,
ein Kribbeln, ein Krabbeln, ein Zappeln, ein Zucken.
Schon lauf ich nach Hause. Schon renne ich munter
im grünsten der Hemden die Straße hinunter.Die Kreuzung. Es kommen mir Autos entgegen.
Die Ampel ist rot, doch ich schlittre verwegen.
Ein Hupen, ein Kreischen, ein Schlag und ein Schrei –
dann wurde es schwarz und dann war es vorbei.Sechs Monate krank – intensive Station,
dem Tode entrissen durch Operation;
so ward ich gerettet, entkam ich dem Grabe
und wurde von nun an ein artiger Knabe.(Anamnesis [Anamnese]: Erinnerung; Diatyposis: gute Ratschläge; Amphibrachys → Amphibrachys in “Vers”; die lustige Lebhaftigkeit in diesem Beispiel kommt weder von der Erinnerung noch von den guten Ratschlägen sondern vom Amphibrachys, von Alliteration, Asyndeton, Superlativ, Accumulatio, Klimax, etc.)
(Wilhelm Busch)