Adjektive + Attribute

Wie anders aber nun das Bild in die tiefschattige alte Eichenallee! Anmutig belebte sich das üppige Gewölbe, wenn im launischen Frühlingswind die Sonne das Spiel der Zweige und Blättchen vom weit überspannenden Baldachin aufs Pflaster projizierte. Ließ man sich dazu einladen, durch dieses reich animierte Schattenlabyrinth hindurchzuspazieren, so mochte man glauben, im Innern eines schwarz-weißen Kaleidoskops zu wandeln, und das Fachwerk der alten Häuser, das links und rechts hinter den mächtigen Eichenstämmen hervorschimmerte, vertiefte und vervielfältigte noch diesen Eindruck. Die einzigen Farbtupfer im heimlichen Dunkel stammten von den Lichtsignalen einer Ampel, und im Sommer, wenn der raunende Blättertunnel noch schwärzer, noch undurchdringlicher wucherte, strahlte das rot-weiß gestreifte Dach des italienischen Eiswagens recht verlockend hervor. Oft spielten wir Lausbuben hier und einmal sogar begegnete mir Fräulein Spitz, unsere charmante Klassenlehrerin, in einer giftgrünen Bluse und mit einem tropfenden Sahneeis in der nervösen Damenhand. Sahnig und eisig kleckerte es auf ihren Stöckelschuh, ein verhauchtes Hallo wehte mir entgegen und giftgrün wippte sie bei Rot über die Straße.

(sehr üppiges Bild, aber manchmal etwas überladen: der “launische Frühlingswind” wirkt bereits schwülstig und verlangsamt das Tempo, das ohnehin durch den “weit überspannenden Baldachin” verlangsamt wird; ein “raunender” Tunnel, der auch noch “wuchert” ist fast ein schiefes Bild; einfache Adjektive wie “nervös” wirken erfrischend; einfache Adjektive wie “sahnig” oder “eisig” wirken sehr viel origineller, wenn sie als Attribute auftreten; → auch Epitheton in “Lyrisch”)

Carl Friedrich Lessing: Die Tausendjährige Eiche, 1837

Komparativ + Superlativ

In grünstem Hemd, in noch grünerer Laune, pfiff er sich über den Bahnhofsplatz, der Halunk. Des öfteren sah ich mit bekofferten Touristen ihn fast kollidieren, derweil er, zwar im allerletzten Moment, so doch jedesmal aufs Geschickteste auswich; virtuoser noch, wie er sich bei Rot durch den dichtesten Verkehr schlängelte und…, da war der Aal entglitten bereits dem laschen Griff meiner Augen.

(angenehmst erfrischend, hier natürlich bereits übertrieben; vergleiche auch ↪ Hyperbel in “Spannung”)

(RPW)

Pronomen

Jenen, welcher ihm jüngst sein Geld abgeknöpft hatte, erkannte er an seinem grünen Parka in der Menge. Er näherte sich ihm vorsichtig; der letztere jedoch, mißtrauisch geworden, nahm Reißaus, was ihm in der Menschenmenge allerdings schwerfallen sollte. So hätte dieser ihn um’s Haar eingeholt, wäre der andere nicht im letzten Moment tollkühn bei Rot zwischen die Autos gesprungen und ihm auf diese recht dramatische Weise entwischt.

(schemenhaft: der Leser wird neben das Bild gestellt, und beobachtet Bewegungen; manchmal schwer verständlich, aber diese Verwirrung kann Absicht sein, wie beim Film, wenn man die Person nicht genau erkennt)

Screenshot von Akira Kurosawas Das Schloss im Spinnwebwald, 1957


Sein Hemd, es schillerte so wundergrünlich, als Albert die Straße hinuntertanzte. Oh, diese Straße! Albert sah sie gar nicht, als er so mir nichts, dir nichts gegen den Ampelmast tanzte. Pardauz! Und die Ampel? Sie stand noch, und zwar auf Rot. Doch der Albert, er war nicht auf seinen Kopf gefallen, er alberte hinüber.

(In diesem Beispiel die Pronomen, so dicht auf die Nomen folgend, sie sind eigentlich überflüssig; es klingt jedoch “exotisch” [“masurisches Deutsch”] und man mag mit Akzent sprechen, “interessante” Akzente setzen, doch die Figur, wenn zu oft wiederholt – sie wirkt aufdringlich; → auch Katapher in “Episch” und Satzumbau in “Selt aber würdig”)

Präposition

An öden Winterabenden kauert manchmal unter der verwitterten Brücke zerstaltetes Gelumpe am Ufer des von aufgewühltem Schlamm getrübten Amurs. Unter diesen zwielichtigen Gestalten befand sich ein Mann mit Triefaugen in einem grün-schimmeligen Pelz. Auf seinem Buckel schleppte dieser Mann einen schweren Sack aus dreckigem Leinen durch die kauernden Lumpengestalten. Vom Flussufer aus kletterte er mit Mühe und dem Sack den Abhang hinauf, zog ihn unter Geächze auf die Brücke, stemmte ihn über das verrostete Geländer und ließ ihn ohne viel Aufhebens in den Amur plumpsen. Ohne den Sack nun schien er nur noch ein flinker Schatten, huschte über die Brücke, drückte sich an den Hauswänden entlang, hastete bei Rot über die Straße und verschwand in der Dunkelheit.

(zahlreiche Präpositionen erzwingen einen ständigen Perspektivwechsel und bereichern die Szene; vergleiche auch → Konjunktion in “Satz”)

Jean-François Raffaëlli: Der Bettler

Kausale Präposition

Bezüglich Ihres Schreibens betreffs Ihrer Beschwerde gegenüber dem Verhalten besagten Individuums, das – wie Sie mutmaßen – infolge einer Intoxikation öffentliches Ärgernis durch anstößige Kleidung hervorrief, sowie infolge eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr Ihr Ordnungsempfinden verletzte, möchten wir Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass mangels ausreichender Unterlagen angesichts des Fehlens von Beweisstücken ungeachtet des nicht unbeträchtlichen Aufwandes einer eintretendenfalls unerlässlichen Beweisaufnahme vorbehaltlich der relevanten Bestimmungen die Rechtsgrundlagen für diesbezügliche Ermittlungsmöglichkeiten hierseits nur bedingt gegeben sein dürften.

(Beamtenstil; → auch Amtsdeutsch [Eutrepismus] und Reportstil [Aschematiston])

René Magritte: Golconda, 1953

Kurzer Haupsatz ohne Nebensatz

Parataxe

Der Himmel ist wolkenlos. Der Durst ist unerträglich. Man jubelt uns zu. Menschen zucken im Rhythmus der Trommeln. Ich höre sie kaum. Vor mir läuft Kabiga in grünem Trikot. Sein elastischer Körper kennt keine Müdigkeit. Leicht und federnd läuft er uns davon. Stehenbleiben! Aufgeben! Irgendetwas zieht mich weiter. Die Agonie läuft mit uns, in uns. Es geht wieder durch Nairobi. Plötzlich ein Kreischen. Ein PKW schießt über die Kreuzung. Mit einem Schnellspurt rettet sich Kabiga. Doch nun ist die Agonie vergessen. Unmerklich hole ich auf.

(Parataxe [Parataxis]: Aneinanderreihung [hier kurzer] Hauptsätze; außerordentlich energisch, aber ebenso klischeehaft, Reportage; → auch Bildsprung in “Lyrisch” und Hypozeuxis in “Spannung”; das Gegenteil ist die Hypotaxe)

Erweitertes Satzgefüge

Hypotaxe

Am 12. April ging der Gymnasiast Karl Hinze, dem bereits mehrfach ein Verweis wegen schlechten Betragens erteilt wurde und der deshalb auch sowohl bei seinen Klassenkameraden als auch beim Kollegium des Wilhelminiums als nicht sonderlich beliebt gilt, auf seinem Weg zur Schule in einem grünen Kapuzen-Anorak der Marke “Green Life”, einem Kleidungsstück, das heute bei Schülern – da sowohl sportlich als auch nützlich – offensichtlich sehr beliebt ist, bei Rotlicht über die Kreuzung Zwickring/Blüthenstraße, fahrlässig und, wie von Augenzeugen berichtet wird, ohne sich zu vergewissern, daß die Straße frei war, vermutlich auch in großer Eile, da er verschlafen hatte und wohl befürchten mußte – wie er nun behauptet – zu spät zur Lateinarbeit zu kommen, die für ihn, da er vom Sitzenbleiben bedroht ist, von allergrößter Wichtigkeit war.

(Hypotaxe [Hypotaxis]: der im Deutschen so beliebte Schachtelsatz; hier vollgepfroft mit wenig charakteristischen Informationen, die sich entweder zerstreuen oder selbst im Wege stehen, ohne sich zu verdichten: hier ist alles Lebendige abgewürgt; nicht zu verwechseln mit Perioden!; berühmte Schachtelei von Konrad Duden: “Die, die die, die die Dietriche erfunden haben, verdammen, tun [ihnen] unrecht”)

(nicht alle Schachtelsätze sind geistlos; es gibt sehr kunstvolle bei Kleist und auch bei Thomas Mann; das Gegenteil ist die Parataxe; andere Schachteleien: Matrjoschka Puppen, Traum im Traum [→ Inception], Geschichte in einer Geschichte [→ Tausendundeine Nacht]; auch “nested commands” [in HTML], oder “window in a window”; → auch Seltsame Schleife in “Selt aber würdig”)

Matrjoschkas

Satzgefüge ohne Hauptsatz

Wie Sie mir nun ohne weiteres zugeben werden, dass einem Kerl mit solch grüner Jacke alles mögliche zuzutrauen wäre, ja, selbst dass er bei Rot über die Straße ginge.

(seltsam skizzenhaft aber durchaus reizvoll; ↪ auch Ellipse in “Selt aber würdig” und Aposiopesis in “Alltag”)

(Wilhelm Busch)

Relativsatz

Um nicht zu spät zur Jiu-Jitsu Stunde zu kommen, überquerte Dimitrij, der an jenem Nachmittag einen grünen Gürtel, den ihm sein Vater zum Muttertag geschenkt hatte, trug, bei Rot die Taschkent Straße.

(umständlich verschachtelt, zerfleddert, behindert das Erzählen, → auch Schachtelsatz in “Satz”)


Mein Blick wurde auf die andere Straßenseite gezogen. Ein Grinsen stand mir entgegen. Es war jener Sepp, der stets behauptete, ein alter Kriegskamerad meines Vaters zu sein. Sein Rachen, aus dem das Gold glitzerte, und seine Jägertracht, die wie seltener Smaragd glänzte, gaben ihm etwas Reptilartiges. Die Ampel, die noch rot war, schien Sepp nicht zu bemerken, denn er kroch direkt auf mich zu.

(hier sind die Relativsätze kräftiger, da sie etwas Charakteristisches aufzeigen; nur “die noch rot war” ist überflüssig und wirkt unbeholfen)

(Kamerad Sepp?)

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille