Beleidigung + Anklage

Insultatio + Categoria + Bdelygmia + Cataplexis

Du Grendel, grünbeschupptes Monster,
hinterlist’ger Schuft, du Schurke!
Zurück, versink in deinen Sumpf!
Wag’s nicht, dich auf der Straß zu zeigen!
Entschuppen soll man dich, du Biest,
an langem Spieß in rotem Feuer
rösten bis du Ruß geworden!

(Beleidigung; Anklage; Hass; Strafandrohung; der alles übergeifernde Meister der Beleidigung ist – who else? – William Shakespeare: “Mag mir als Honig-Mund die Zunge schwären” [Das Wintermärchen], “Der Teufel brenn’ dich schwarz, milchbleicher Lump! / Wie kommst du an den Gänseblick? / Reib’ dein Gesicht, die Furcht zu überröten, / Weißlebriger Hund! Was für Soldaten, Hansnarr? / Hol’ dich der Teufel! Deine Kreidewangen / Verführen all’ zur Furcht. Was für Soldaten, / Molkengesicht?” [Macbeth], “Dein tödlich Auge schließe nie der Schlaf, / Es sei denn, weil ein peinigender Traum / Dich schreckt mit einer Hölle grauser Teufel! / Du Mißgeburt voll Maler! Wühlend Schwein! / Du, der gestempelt ward bei der Geburt, / Der Sklave der Natur, der Hölle Sohn! / Du Schandfleck für der Mutter schweren Schoß! / Du ekler Sprößling aus des Vaters Lenden! / Du Lump der Ehre! Du mein Abscheu –” [Richard III], etc., etc., etc.; → auch Zurückweisung in “Dramatisch”, Fluch in “Pompös” und Entwürdigende Bezeichnungen in “Abwertend”)

Margaret

(Margaret in Richard III)

Fluch

Ara (+ Ironie + Perioden)

Meinen Fluch aber ziehe er an wie sein Hemd,
wie seine Haut werde ihm das Hemd,
zu grünem Schimmel werde ihm seine Haut,
das Ampelrot brenne auf seiner Haut wie Feuer,
zu Asche brenne ihn das Feuer,
zur Nacht müsse ihm der Tag werden,
gezählt müssen seine Tage sein,
Unglück geschehe ihm auf der Straße,
ein LKW zermalme ihn,
zu Staub werde er,
ausgerottet soll seine Sippe sein,
sein Weib eine Waise und Witwen seine Kinder.

(Fluch, ↪ Bibel: “ALS nu Noah erwacht von seinem Wein / vnd erfur / was jm sein kleiner Son gethan hatte / sprach er / Verflucht sey Canaan / vnd sey ein Knecht aller knecht vnter seinen Brüdern.” [1. Mose 9]; ↪ auch Zurückweisung in “Dramatisch”, Anklage in “Pompös” und Üble Vorhersage in “Geistlos”; Perioden: ↪ Perioden in “Satz”)

Fluch

Gustave Doré: Noah verflucht Kanaan

Pathos + Mahnung

Pathos + Cohortatio (+ Commiseratio + Bathos)

Dies sind die – sieh – dies sind die grünen – sieh –
dies sind die Fetzen seines grünen Mantels.
Sein Mantel ist’s, den du so oft gesehen,
in dem er oft mit dir spazieren ging.
Der Ärmel hier, der Fetzen seines Ärmels,
der Fetzen war’s – der Arm stak noch darin –
den ihm der Bus vom Körper riss, den Arm
mit Fleisch, mit Blut, mit Haut, mit allen Knochen.
Dies ist – hier sieh – dies ist die Reifenspur
des Lastkraftwagens, der ihn überrollte,
als er dahingestreckt, als hilflos er
in seinem Blute auf dem Asphalt lag.
Und hast du Tränen, so vergieß sie jetzt,
denn hier in seiner Manteltasche liegt
noch unzerknüllt der Brief, den er an dich,
jawohl an dich und keine andre, schrieb.

(Pathos: Überzeugung durch Leidenschaft; Beeinflussung des Gefühls; mein Beispiel parodiert die berühmte aufwieglerische Rede von Antony in Shakespeares Julius Caesar: “Wofern ihr Tränen habt, bereitet euch, / Sie jetzo zu vergießen. Diesen Mantel, / Ihr kennt ihn alle; doch erinnr’ ich mich / Des ersten Males, daß ihn Cäsar trug / In seinem Zelt, an einem Sommerabend – / Er überwand den Tag die Nervier – / Hier, schauet! fuhr des Cassius Dolch herein; / Seht, welchen Riß der tücksche Casca machte! / Hier stieß der vielgeliebte Brutus durch; / Und als er den verfluchten Stahl hinwegriß, / Schaut her, wie ihm das Blut des Cäsar folgte, / Als stürzt’ es vor die Tür, um zu erfahren, / Ob wirklich Brutus so unfreundlich klopfte.” [das unerwartete “Hier, schauet!” sticht wie ein Dolch in die “Erinnerung”]; Cohortatio: leidenschaftliche Ermahnung, Aufforderung; Commiseratio: Mitgefühl ausdrücken und erbitten; Bathos: Stilbruch, z.B. durch plötzlichen Fall aus dem Pathetischen in’s Gewöhnliche)

          Marlon Brando als Mark Antony in Julius Caesar (1953)

Klage

Threnos (+ Fragepronomen)

Wer raubte uns den Einen,
den Einzigen, den Hehren?
Die Würmer selbst, sie weinen,
die sein Gebein verzehren!

Wo klingt die liebe Stimme?
Wem scheint sein sanfter Blick?
Welch Wesen, welches schlimme,
verdarb ihm sein Geschick?

Wer lenkte seine Schritte,
welch teufelischer Engel,
ins tückische Gedrängel
der üblen Straßenmitte?

Nun ruhet er für immer
tief unter frischem Gras.
Sein Grün verwelke nimmer,
in unserm Tränennass!

(Klageweiber auf einem Wandgemälde in Luxor)

(Wehklage, Klagelied: “WJe ligt die Stad [Jerusalem] so wüste: die vol Volcks war? Sie ist wie ein widwe / Die eine Fürstin vnter den Heiden / vnd ein Königin in den Lendern war / mus nu dienen. Sie weinet des nachts / das jr die Threnen vber die Backen lauffen / Es ist niemand vnter allen jren Freunden / der sie tröste / Alle jre Nehesten verachten sie / vnd sind jre Feinde worden.” – Beginn der Klagelieder Jeremias)

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Jeremia, Knesset-Menora, Jerusalem

Gedenkrede

Epilog, Epitaph

Es war das Leben ihm zu lau, zu lasch.
Das Ohr der Welt verstand ihn nicht, das müde.
Zu feurig sang sein grüner Geist, zu rasch
verglühte er. Doch während wir frigide
vor Trauer schweigen, singet seine Asch
in mächtigem Choral und kühnem Liede.
So schreitet er gewaltig durch den Tod.
Und hinter ihm erlischt das Ampelrot.

(Grab-, Gedenkrede; ↪ Goethe auf Schiller: “Und hinter ihm in wesenlosem Scheine / Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.”; Stanze: abababcc ↪ Stanze in “Vers”;

Goethe-Schiller Denkmal in Weimar

“Sechs Monden sind’s, da standen wir hier an demselben Orte; klagend, weinend: denn wir begruben einen Freund. Nun wir wieder versammelt sind, laßt uns gefaßt sein und mutig: denn wir feiern einen Sieger. Hinabgetragen hat ihn der Strom des Vergänglichen in der Ewigkeit unbesegeltes Meer. Ausgezogen, was sterblich war, glänzt er ein Sternbild am Himmel der Nacht. Er gehört von nun an der Geschichte. Nicht von ihm sei unsere Rede, sondern von uns. / Wir haben einen Stein setzen lassen. Etwa ihm zum Denkmal? Uns zum Wahrzeichen! Damit noch unsre Enkel wissen, wo sie hinzuknieen haben, und die Hände zu falten, und die Erde zu küssen, die sein Gebein deckt. Einfach ist der Stein wie er selbst war im Leben, nicht groß; um je größer, um so spöttischer wäre ja doch der Abstand gegen des Mannes Wert. Der Name Beethoven steht darauf, und somit der herrlichste Wappenschild, purpurner Herzogsmantel zugleich und Fürstenhut. Und somit nehmen wir auf immer Abschied von dem Menschen, der gewesen, und treten an die Erbschaft des Geistes, der ist und bleiben wird.” – Franz Grillparzer Rede am Grabe Beethovens bei der Enthüllung des Denksteines, 1827)

Grillhoven

Franz Grillparzer und Ludwig van Beethoven

Abmindernd

Anesis

Ich trug ‘ne gritzegrüne Jacke,
doch hatte sie auch weiße Streifen.
Du denkst, der Typ hat wohl ‘ne Macke,
doch manchmal kannst du mich begreifen.

Die Ampel da bleibt ewig Rot,
nur manchmal steht sie auf Orange.
Die Leute stehn als wär’n sie tot,
doch ich bin nicht von ihrer Branche.

([Allegro ma non troppo]; abmindernd, decrescendo; ironisch wird’s, wenn die vermindernde Aussage die erste umwirft [Urteil nach einem Chopin Klavierabend: “Das war wirklich sehr beeindruckend! …vielleicht mit Ausnahme vom Chopin…”]; das Gegenteil, wenn die zweite Aussage die erste verstärkt, heißt Epitasis)

Anesis

Verstärkend

Epitasis

Kein grünes Hemd! Nie werd ich dir eins geben!
Lauf nicht bei Rot! Niemals in deinem Leben!

(die zweite Aussage verstärkt und bestätigt die erste; ein Nachdruck; das Gegenteil ist die Abminderung)

Beethoven concerto

die Quartsprünge im dritten und vierten Takt von Beethovens drittem Klavierkonzert haben so eine bestätigende Wirkung – durchaus, durchaus!

Nicht nur…, sondern auch

Dirimens copulatio

Dies Hemd ist nicht nur grün, es ist auch wunderbar;
ich trug es nicht nur dieses, nein, auch letztes Jahr.

Das Ampellicht ist nicht nur rot – es ist gemein!
Wer hier nicht geht ist nicht nur dumm – er hat kein Bein!

(nicht nur…, sondern auch…; eigentlich das Erwähnen von Gegesätzlichem, um das Gleichgewicht einer Aussage zu wahren; vergleiche ↪ Gute Seite des Schlechten in “Alltag”)

Dirimens copulatio

Gute Seite des Schlechten

Antanagoge

Dies grüne Hemd ist etwas klein
sein Schnitt jedoch besonders fein,
die Farbe zwar ein wenig fahl,
doch preiswert ist es allemal.

Hier wart’ ich nun beim Ampelhalt.
Es ist zwar Rot, doch schätz ich, bald
wird’s Grün. Was steh ich noch herum?
Ich bin zwar dämlich doch nicht dumm.

(zwar minus, doch plus; die gute Seite des Schlechten: “Schenkt das Leben dir Zitronen, mach Zitronensaft daraus!”; vergleiche ↪ Nicht nur…, sondern auch in “Alltag”)

Geschenk

E. O. Plauen: Vater und Sohn, 1935

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille