Entwürdigende Bezeichnungen

Tapinosis

Ich hab ‘nen Fetzen auf dem Leib,
der schimmert grün wie Schimmel.
Wenn ich in dieser Gasse bleib,
dann krieg ich gleich ‘nen Fimmel.

Ojeh, die Funzel steht auf Halt,
da gibts wohl nix zu lachen.
Ach geh! Ich bin ja nicht beknallt,
ich werd mich rübermachen!

Da, dies ausgeflippte Grün!
Mensch wie kann der bloß so gehn?
Gott, mit diesen grauen Haaren!
Is ja geil! Echt abgefahren!
Rennt bei Rot die trübe Tasse!
Find ich aber nich so Klasse.

Da läuft der alte Junge neulich
in grüner Weste – ganz abscheulich.
Der läuft ja auch bei Rot noch glatt,
weil er se nich mehr alle hat!

Ne grüne Jacke trug der Geck.
Der hatte aber einen weg!
Stolziert auch prompt bei Rotlicht rüber.
Da trüg er man ‘n Rothemd lieber.

Schattenfigur

(unsere Lieblingsfigur; Tapinosis [Tapeinosis, Meiosis]: abwertend; würdelos, “Gassensprache”; → auch Beleidigung in “Pompös” und Gemeine Vorurteile in “Abwertend”; Kurt Tucholsky Heinrich Zille, 1929:

Zweeter Uffjang, vierta Hof
wohnen deine Leute;
Kinder quieken: »Na, so dof!«
jestern, morjn, heute.
Liebe, Krach, Jeburt und Schiß …
Du hast jesacht, wies is.

Kleene Jöhren mit Pipi
un vabogne Fieße;
Tanz mit durchjedrickte Knie,
er sacht: »Meine Sieße!«
Stank und Stunk, Berliner Schmiß …
Du hast jesacht, wies is.

Jrimmich wahste eijntlich nich –
mal traurich un mal munta.
Dir war det jahnich lächalich:
»Mutta, schmeiß Stulle runta –!«
Leierkastenmelodien …
Menschen in Berlin.

Int Alter beinah ein Schenie –
Dein Bleistift! na, von wejn …!
Janz richtich vastandn ham se dir nie –
die lachtn so übalejn.
Die fanden dir riehrend un komisch zujleich.
Im übrijen: Hoch det Deutsche Reich!

Malen kannste.
Zeichnen kannste.
Witze machen sollste.
Aba Ernst machen dürfste nich.
Du kennst den janzen Kleista –
den ihr Schicksal: Stirb oda friß!
Du wahst ein jroßa Meista.
Du hast jesacht, wies is.
)

Zille

Heinrich Zille und Kurt Tucholsky