Anekdote mit Zitat

Chrie

1.

Was sagte einst King Richard Three?
Wer hat es nicht gehört?
“A shirt! A shirt!” King Richard schrie,
“my Greenland for a shirt!”

Was wär ein Richard ohne Hemd?
Was wär er ohne Grün?
Er stünde nackend und verklemmt
Und wär kein bißchen kühn.

Wie eine Schnecke ohne Haus,
Ne Kröte ohne Schild,
So säh der arme Richard aus.
And soon he would be killed!

Drum wer den armen Richard hört,
Oh rasch, der rette ihn
Und geb ihm schnell sein eignes Shirt!
(And please make sure it’s green!)

2.

Herr Mao liebte einen Song,
der lindert seinen Zorn:
“Rot ist der Osten – Dong Fang Hong.
Hurra, führt uns nach vorn!”

Was wär ein Mao ohne Song?
Was wär er ohne Rot?
Er stünde schwach und gar nicht strong
Und wär am Ende tot.

Wie eine Hochzeit ohne Tanz
So lasch, so lahm und alt!
Wie eine Sonne ohne Glanz
So rosa nur, und kalt.

Drum siehst du einst ein Maobild,
Oh rasch, schrei deinen Song!
Und schrei ihn laut und schrei ihn wild:
“Rot Osten, Dong Fang Hong!”

(Chrie [Chreia]: Anekdote mit Zitat oder Akt; auch schematische Ausarbeitungen über einen Sinnspruch, → auch Beispiel in “Alltag” und Autorität zitierend in “Geistlos”)

Dong fang hong

Eigene Erfahrung

Martyria

Ein Hemd, das ist was Feines.
Ich selbst besitze eines,
sehr klein und grün kariert
und nur ganz leicht beschmiert.

Bei Rot geh nie hinüber!
Mir fuhr ‘ne Honda über
den linken großen Zeh.
Noch heute tut der weh!

Motorrad

(am “eigenen Leibe” erfahren; eigentlich Zeugnis [in der Religion “Glaubenszeugnis”]: “Das da von anfang war: das wir gehöret haben / das wir gesehen haben mit vnsern augen / das wir beschawet haben / vnd vnser Hende betastet haben / vom Wort des lebens / Vnd das Leben ist erschienen / vnd wir haben gesehen / vnd zeugen vnd verkündigen euch das Leben / das ewig ist / welches war bey dem Vater / vnd ist vns erschienen.” [1. Johannes 1]; vom Glaubenszeugnis führt der Weg dann zum Martyrium, dem “Blutzeugnis” des “Märtyrers”: “Du bist schön in der Marter, am Holz des Kreuzes und in den Linnen des
Grabes.” [aus einer eucharistischen Anbetung inspiriert von AugustinusVita Consecrata, 24]; → auch Beispiel in “Alltag”)

Johannes

Meister des Florian-Winkler-Epitaphs:
Martyrium des Heiligen Johannes, ~1477

Anerkennung

Comprobatio

Sag mir bitte frank und frei,
denn mein Urteil ist gar schwächlich,
ist dies grüne Hemd okay?
Dein Geschmack ist unbestechlich!

Du bist der Verkehrsexperte.
Sag mir, Franz, was soll ich machen,
denn die Kreuzung überquerte
ich bei Rot mit 70 Sachen.

Kompliment

(rhetorische Komplimente; ↪ auch Schmeicheln in “Geistlos”; nicht alle Komplimente sind geistlos, nicht jedes trägt schmeichlerische Absicht; das folgende Beispiel ist tragisch: Stefan Zweigs “Abschiedsbrief” [Declaracão], 1942, beginnt mit Anerkennung und Dank an sein Gastland Brasilien: “Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gut und gastlich Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.” [Zweig, aus jüdischer Familie stammend, emmigrierte 1940 nach Brasilien])

Abschiedsbrief

Schmeicheln

Kolakeia

Dein grüner Lippenstift ist cool! Fantastisch!
Mit rosa Haaren find ich’s schon exotisch!
Wie du so federnd, wiegend, so elastisch
die Kreuzung überquerst ist echt erotisch!

(Schmeicheln; [“Wisse daher, dass Schmeichler die schlimmsten Verräter sind; denn deine Unvollkommenheiten werden sie stärken, dich in allem Übel ermutigen, in nichts korrigieren, doch all deine Laster so malen und abschattieren, dass du durch ihren Willen nie böse von gut, nie Laster von Tugend unterscheiden wirst” Sir Walter Raleigh]; ↪ auch Anerkennung in “Geistlos”; berühmt ist die Aesopsche Fabel Vom Fuchs und Raben: “O Rabe, was bist du für ein wunderbarer Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder, dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen!”;

Fuchs

Jean-Jacques Grandville: Der Rabe und der Fuchs, 1838

trinkt man Höflichkeitsfloskeln vergangener Tage, schmeckt man sofort den leckeren Speichel: “Gedicht An die Herzogin Franziska womit bei der höchstbeglückten Ankunft Ihro herzoglichen Durchlaucht der Frau Herzogin von Württemberg Franziska in dem Kloster Maulbronn seine untertänigste und tiefste Devotion bezeugen und sich Höchstdero Durchlaucht zu höchster Huld und Gnaden untertänigst empfehlen wollte Joh. Christian Friedrich Hölderlin.)

Hoelderlin

Wortverwechslung

Malapropismus

Die Straße transzendiert’ ich in Oliv.
Das Monometer zeigte heut auf Tief.
Als ich durch ihre Aureole lief,
da hing der Nimbus einer Ampel schief.

(falsches Fremdwort; vergleiche auch ↪ Zungensalat in “Geistlos”; bekannte Beispiele: “Sie ist so sturköpfig wie eine Allegorie am Ufer des Nils” [gemeint ist der “Alligator”, den es noch dazu nicht gibt am Ufer des Nils] – Mrs. Malaprop, nach der diese Unart benannt ist, Figur in einer Komödie von Richard Brinsley Sheridan, 1775; “HOLZAPFEL. O Spitzbube! Dafür wirst du noch ins ewige Jubiläum verdammt werden.” – Shakespeare Viel Lärm um nichts [im Original: “DOGBERRY. O villain! Thou wilt be condemned into everlasting redemption for this.”];

Malapropismus

“Dogberry” und “Mrs. Malaprop”

plötzlich erinnere ich mich auch an den “intellenten Stipend, der nach seinem Gumminasiumabschluss 12 Sylvester an der Unität stornierte und jetzt jede Barriere einschlagen kann”)

Mauerspecht

(Mauerspecht schlägt Barriere ein)

Affektierter Zungensalat

Kakozelie, Soraismus, Barbarismus

Ich trabe auf dem Trottoir
hinunter den Grand Boulevard
und fühle mich malade
von dieser Promenade.

Und mein Chemise, ah quel Malheur,
die Form zwar chique, doch das Couleur
trop vert, très éclatant,
und nicht sehr elegant.

Dann an der Ampel, oh Mon Dieu,
schnell rübergehn, allez allez –
gelobte Ignorance!
‘s hat keine Relevance.


Hier strollt in Grien, im grienen Frock,
ein Gentleman, ein eitler Schmock,
und smoket seine Peipe
in front of einer Kneipe.

Oh look nur, by dem roten Light
da strollt der Strolch, er ist gescheit
und gar kein bisschen scheu,
der jolly good old Boy.

(Zungensalat; Kakozelie [Cacozelia]: Fremdwörtersucht und ungeschickter Gebrauch von Fremdwörtern; Soraismus: [plumpe] Sprachvermischung, “Babylonisch”, “Kauderwelsch”; ↪ auch “Nudelverse” und Makkaronische Dichtung;

Pieter Bruegel der Ältere: Großer Turmbau zu Babel, 1563

Turmbau und Babylonische Sprachverwirrung: “ES hatte aber alle Welt einerley zungen vnd sprache. […] Vnd sprachen vnternander: […] Wolauff / Lasst vns eine Stad vnd Thurn bawen / des spitze bis an den Himel reiche / das wir vns einen namen machen / […] Vnd der HERR sprach: […] Wolauff / lasst vns ernider faren / vnd jre Sprache da selbs verwirren / das keiner des andern sprache verneme.” [1. Mose 11]; Barbarismus: falsche Verwendung eines [Fremd]wortes, auch metrischer Fehler, schlechter Klang, etc.; ↪ auch Kompositum + Pleonasmus + Tautologie in “Wort” und Malapropismus in “Geistlos”; zur Fremdwörtersucht ↪ Eduard Engel Sprich Deutsch!, 1916;

Eduard Engel

“Entwelschung” – ein ziemliches Unwort – bedeutet Entfernung der Fremdwörter; “Apropos, im Fall einer protestiert, legitimierts euch einfach als interimistische Volontäre der provisorischen Zentralkommission des Exekutivkomitees der Liga zum Generalboykott für Fremdwörter. Adio!” [Karl Kraus Die letzten Tage der Menschheit, 1915-22])

Redundanz

Pleonasmus, Tautologie

Mein Sakko war aus grünem Leinen,
grasgrün, famos und wunderbar.
Ich trottete mit beiden Beinen
auf einem Bürgertrottoir.

Doch als ich nun so lief und rannte,
da fiel ich, stolperte beinah,
als ich die Ampel nicht erkannte,
das rote Stopplicht übersah.

Zum Glück jedoch und Gott sei Dank
kam ich gesund und heil hinüber.
Leicht läge ich verletzt und krank,
führ mich ein Autowagen über.

(doppelt hält besser; Pleonasmus: zu viele Wörter; geistlos wenn unabsichtlich, sonst auch witzig: “Ich ward vom Geschick dazu verdammt, Erziehung, Kost, Wohnung und Kleidung frei, gratis und umsonst zu bekommen.” – Frederick Marryat Jacob Faithful [“Die Abenteuer des Jakob Ehrlich”], 1834; “Nun ja, die Post kommt aus der Stadt, / Wo ich ein liebes Liebchen hatt'” – Wilhelm Müller Die Post [aus Winterreise, vertont von Franz Schubert, 1827; man fragt sich sicher, ob dieses böse Liebchen nicht ein liebes Böschen ist oder gar ein böses Böschen], → auch Kompositum in “Wort” und Überflüssige Wörter und Füllwörter in “Geistlos”; Tautologie [Tautologia]: [unnütze] Wiederholung mit anderen Wörtern, → auch Zwillingsformel in “Lyrisch”; eine Steigerung wäre die Battologie → Wiederholung und Beharrlichkeit in “Geistlos”, das Gegenteil Oxymoron → Scharf-dumm in “Humor”)

Trotten 2

Fritz Fischer: Skizzen zu E.T.A. Hoffmann, 1958

Überflüssige Wörter

Parelcon

Warum nun aber bloß dies grüne, alte?
Man sieht ja nicht einmal ‘ne Bügelfalte!
Und lauf mir nicht bei Rot schon wieder noch!
Und tust du’s dennoch dann mit Vorsicht doch!

(überflüssige Wörter; hier: “nun aber bloß”, “schon wieder noch”; Robert Gernhardts Sonett, Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs parodiert auch die [damals] modischen Füllwörter: “Sonette find ich sowas von beschissen, / so eng, rigide, irgendwie nicht gut; / es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen, / daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut / hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen; / allein der Fakt, daß so ein Typ das tut, / kann mir in echt den ganzen Tag versauen. […]”; → auch Redundanz, Füllwörter und Floskeln in “Geistlos”)

Blah, Blah, Blah, painting by Mel Bochner

Mel Bochner: “Blah Blah Blah”

Tiefstapeln + Schönrednerei

Understatement + Euphemismus (+ Paraphrase)

Ich trage grün – bin versatil –
(das letzte Hemd und ohne Stil).
Da schimmert etwas in Zartrosa.
(Man nennt das “Rotlicht” in der Prosa.)
Ein Windchen weht mich sanft hinüber.
(Das heißt: Ich geh bei Rotlicht rüber.)

(Tiefstapeln, Schönrednerei; berühmt ist der englische Euphemismus “uncontrolled contact with the ground” für Flugzeugabsturz; ↪ auch Litotes in “Selt aber würdig”; das Gegenteil von Untertreiben ist die Übertreibung ↪ Hyperbel in “Spannung”; Paraphrase: Erklärung)

Flugzeug

(unkontrollierter Bodenkontakt)

Zusammengesetzte Wörter

Kompositum

Auf Citywegen packt mich Wandellust,
Grünhemdenpracht verziert die Schwitzebrust.
Da droht mir Überschreitungsnot,
denn Rotwarnlicht heißt Gehverbot.
Es schwillt die Schwarzeneggerwut.
Stolz siegt mein Siegfriedheldenmut!

(Zusammensetzung, die Geistesidiotie der Deutschsprache; ↪ Bildloses Hauptwort und Kompositum in “Wort”; “[Unsere Philosophaster sind aber genötigt in der Luft zu schweben], weil sie sich hüten müssen, die Erde zu berühren, wo sie, auf das Reale, Bestimmte, Einzelne und Klare stoßend, lauter gefährliche Klippen antreffen würden, an denen ihre Wortdreimaster scheitern könnten.” – Arthur Schopenhauer)


Kompositum in der Schlagzeile

Grünträger wird zum Rotsünder
– da klickten die Handschellen!


Grüntyp in Rotzone – kawumm!!!

Rotsuender

Markus Lüpertz: Weil er über Rot ging

Sprachkunst, Rhetorik, Figuren: 300 Veränderungen über einen Satz — mit Kommentaren und Illustrationen — „Grüne Figur bei Rot": Kleines Rhetorikum ©2009 Rolf-Peter Wille