Category Archives: Selt aber würdig

Haupt- als Zeitwort

Anthimeria (+ Hypallage)

Als Grünanzieher straßte ich
in einem Hemd der Hässlichkeit
und ampelnd überraste ich
die rötliche Unpässlichkeit.

(ich figurte so vor mich hin, ↪ auch Anthimeria in “Lyrisch” und Metallage in “Dramatisch”; zwei weitere Beispiele aus Shakespeares Hamlet: “Up from my cabin, / My sea-gown scarf’d about me, in the dark” [“scarf”, “Schal” ist hier als Zeitwort benutzt]; “And thus the native hue of resolution / Is sicklied o’er with the pale cast of thought,” [“sick”, “krank” ist hier ein recht verrücktes, ein angekränkeltes, Partizip: “is sicklied over”, “ist überkränkelt”?; Hypallage ↪ Verwechslung in “Selt aber würdig”)

Hamlet

(Titelseite der Hamlet-Ausgabe von 1605)

Klangdehnung

Tasis

Grühün ist mir zuwider!
Drum geh bei Rrrot ich rrrüber.

(vergleiche ↪ Lautmalerei [Onomatopoesie] in “Geistlos”;

(Charlie Rivel als Akrobat schööön, 1943)

auch Frau Mahlzahn aus Kummerland bedient sich dieser interrresssssanten Figurrrrr: “„Achchchch!” stieß der Drache überrascht hervor, und ein boshaftes Grinsen verbreitete sich langsam über sein warzenbedecktes Gesicht. „D  u  u  u  u  u   bist das also, mein Herzzzzzchen! Ich habe dichchch schon seit langer Zzzzzzeit erwarrrrrtet.”” [Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer]

Jim Knopf

Anklebungen

Prothese + Epenthese + Paragoge (+ Tasis)

Im Parke, wo ich im Gehitze
vergrünter Hemden mich beschwitze,
da, im Gemenge, im Geleute,
verdrängeliere ich mich heute.
Da vorn die Ampel wird rohot –
oh neiheihein, Ichidiot!
So ein verdummedammter Dreck!
Diese Verampelung muss weg!
Ich kaputtiers nicht, ich enteile,
bevor ich mich hier noch zerweile.

(Angekleisterungen; Prothese [Prosthesis]: zum Anfang des Wortes [“beschwitze”]; Epenthese [Epenthesis]: in die Mitte des Wortes; Paragoge: zum Ende des Wortes [“verdrängeliere”]; Tasis: ↪ Klangdehnung in “Selt aber würdig”; die Wirkung hier ist lustig oder albern, ↪ auch Paronomasie in “Reim” und Paronomasie in “Humor”; das Gegenteil sind die Verkürzungen

(Jake the Peg with his Extra Leg [ein Handschuh wird in den rechten leeren Ärmel gesteckt und die rechte Hand hält das falsche Bein an einem Besenstiel im Mantel])

hier noch ein “gekleistertes” Sonett”

                       Silbenkleisterei

         (Antwort auf die Silbenscherereien)

    Nix Schererei! Man soll die Sileben
    jederozeit ans Worte kleisteren,
    somit die Dichterer (die dreisteren)
    es meisteren, nicht zu vergileben.

    Zum Anfang lässt sich leicht was dárankleben –
    ganz ohne Probelem in die Mitite;
    beim Endero ist’s ohnehin Sitite
    und gar nicht seleten da da daneben.

    Drum kleistre und kelebe immer munter:
    Es reißet dich heraus aus dem Gewühel!
    Die Verse klingen bunt und stets buhunter.

    Erwache, oh du heheres Gefühel
    und holderer wihink’ dir die Guhunest
    der heil’gen Sonotettenkuhuhunest!

                                                                [RPW])

Kofferworte

Portmanteau

Schlamotten trag ich heut – in Grün!
Werd mich durch die Stragassen ziehn.
Schau, die Verdampel da rotiert.
(Doch ich hab mich hindurch schlaviert.)

(Kofferworte, die Teile zweier (oder dreier?) Wörter sind in einen “Koffer” “gepackt” und wachsen zusammen; Frankensteins Frankenworte; “Schlamotten”: schlampige Klamotten“; “Verdampel”: Zusammenziehung von “verdammte Ampel”; eigentümlicher ist ein Kofferwort, bei dem man die Ursprungswörter nicht genau bestimmen kann, wie bei manchem aus dem Jabberwocky von Lewis Caroll

Jabberwocky

(aus Lewis Carolls Jabberwocky [“‘Twas brillig, and the slithy toves / Did gyre and gimble in the wabe; / All mimsy were the borogoves, / And the mome raths outgrabe.”], 1871)

hier noch ein weiteres Beispiel von mir selbst:

            O du schnoldes Sankristânien!

        Warum in der Stube schnocken?
             Weite deinen Geist, mein Kind!
             Komm, ich mach mich auf die Socken,
             Greife meinen Stock geschwind.
        Reise rasch nach Sankristânien,
             Will die frischen Lanien schnuppern,
             Wandeln unter den Kastanien
             Und am Summovare schlubbern.
        Denke meiner Seel zu frieden,
             Dünke mich im Paradeis.
             Nur der Poesie zu schmieden
             Sei mein heiliges Geleis.
        Ach, wie arg ist mein Verzachen!
             Niemals hätt es mir geschwant.
             Unter Lanien blummern Rachen,
             Schwitz geschweift und blut gezahnt.
        Und am Grab von Nosfurater
             Weht der wilde Wandolei
             Schmerzgewallet wie ein Pater
             Aus der schmären Sangristei.
        Und es schlattern all die Fläuse,
             Schliff gesimmt im flugsen Flor.
             Schrauelig durch die Kartäuse
             Siriliert ihr Sabbachor.
        O du schnoldes Sankristânien!
             Hätt ich dich doch nie bereist!
             Lebet wohl, ihr holden Lanien!
             Lebe wohl, poëtscher Geist!
        Wozu in die Ferne schweilen?
             Treue stets dem trauten Häum.
             Ja, hier darfst du dich vertreilen,
             Selig und in sachter Säum.
)

Nosfurater

Szene aus Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, 1922

Auslassung

Ellipse

Möchte heut mein grünes Hemd,
will auch auf die Straße.
Stehe so am Zebra da,
soll dann rasch hinüber.

(…Auslassung…, das kann weg…; ↪ auch Satzgefüge ohne Hauptsatz in “Satz” und Aposiopesis in “Alltag”; …eine seltene Figur? …eigentlich nicht; warum sagen wir “Guten Morgen” und nicht “Ich wünsche Dir, einen guten Morgen zu haben”?; manchmal fühlt man sich gezwungen, etwas aus Höflichkeit wegzulassen: “»Ham and eggs, wenn etwas Warmes nehmen wollen,« empfahl Franz in der höflichen Art Wiener Kellner, die sich lieber die Zunge abbeißen würden, als daß sie es übers Herz brächten, den Gast wie irgendeinen gewöhnlichen Sterblichen mit »Sie« anzusprechen.” [Leo Perutz: Zwischen neun und neun]; beeindruckend allerdings ist die Kunst, etwas zu sagen, indem man es verschweigt; ein extremes Beispiel ist im Konrektor Freese: “Dieses Original hatte sich eine ihm ganz allein gehörige »Freese-Sprache« geschaffen, die schwer erlernbar war und studiert sein wollte. So kam er einst in die Klasse und sagte: »Je – mein lieber Teichen! Schwings Eltern haben mich – und da wollt ich!« […] Ohne förmlichen Kommentar würden Uneingeweihte den Sinn dieser Sätze nie erfassen. Aber wir, jahrelang geschult, wußten genau, was er meinte. Das sollte heißen: »Teichen, Schwing’s Eltern haben mir mitgeteilt, daß ihr Sohn Nachhilfestunden im Griechischen haben solle, und da möchte ich Sie, Teichen, fragen, ob Sie bereit sind, gegen Bezahlung dieses Amt eines Nachhilfelehrers zu übernehmen!« Gewiß eine anständige Leistung einer mündlichen Kurzschrift.” [aus Besonnte Vergangenheit von Carl Ludwig Schleich];

Schleich

Carl Ludwig Schleich, 1880

hier noch ein weiteres Beispiel von mir selbst, ein “ruiniertes” Sonett:

                                Ruiniert

        …. raget aus dem Maul der hohle …..
        ……………… nurmehr verwitterte Ruine.
        Noch kühn …… beschatten ………. Miene.
        …… zerfallen …………………. eitel Wahn.

        ……… wo einst die stolzen ……………
        ….. heut den …..………. ihrer Lanzen.
        ………………………. zu verschanzen
        …….. zeugen ………… rauhen Sitten.

        Indes ……. sprachlos … ringen ihre Hände.
        …………………….. Barden lamentieren
        ……. weh! ………….…. nie sanieren.

        ……………………………….… ausgehaucht.
        ………. ist müde, abgewrackt, verbraucht.
        …………………..…….…………. Ende.

eine ganz andere Absicht als die Ellipse hat die Vorgebliche Auslassung, bei der man ankündigt, etwas verschweigen zu wollen und es bei dieser Ankündigung natürlich absichtlich erwähnt)

Verkürzungen

Aphäresis + Synkope + Synaloiphe (+ Apokope)

Chab’n schmucks ‘emd,
b’nich so v’klemmt.
Heut auf’r Straß
‘s’ne Menschnmass’.
Gott ’s ja fürchlich –
‘n’ Ampl isses, nich?
Je, ‘ch bin ‘n ‘diot!
‘nüber ‘s’ scho Rot!

(Abkleist’rung’n; Shakespeare’s Lieblingsfigur [complain: “The King hath cause to plain”, attentive: “With an attent” ear”, the other: “I’ll take one; you take th’other.”; bei einem Sprachkünstler mag es die Spannung verstärken, aber meist ist das Versmaß Prokrustes und erzwingt diese netten Verstümmelungen; gerechterweise sollte man Verkürzungen mit ein paar “Anklebungen” ausgleichen, denn wo etwas hinweggeraubt muss doch wohl anderes hinzugefügt werden…)

(das Bett des Prokrustes)

Lautveränderung

Metathese

Ich rannte, ja ich raste,
einst in Chorlattenburg
hinab die briete Sraßte.
Ein gnüres Klied ich turg.

Dann leif ich um mien Leben,
denn – tells dir nur mal vor –
ich thate üherseben
das bölde Alpemtor!

(eine kimosche Gifur; Metathese [Metathesis]: Lautveränderung oder Lautvertauschung; hier eine Art Anagramm; vergleiche ↪ Paronomasie in “Reim” und Wortspiel in “Humor”;

Horst Antes: Großes Mauerbild VI, 1966

hier noch ein recht extremes Beispiel von mir selbst:

                            Ich bin bekloppt

Ich bin beknoppt    ich    nich mehr helle,
     Un binoch sonso intelelle.
         Wie kompesenn, dassichetz lalle?
     Ichlau pich hapsenich meralle.
Ich trankoch bolsne Falsche Bier.
     Meigott!     Wie wrids, wie wirzen mir?
         Ich hab ja enien rethcen Klaps!
     Das war kien beir     das     waroch spcnahps.
nhict enie fshalce sndoren zwei
     nu is vobrei –
         ni su

             or     b
    
    
                        i

                                                v
    
    
    
                                                                                                     @
    )

Flasche

Pablo Picasso: Flasche Pernod, 1912

Nachsprechen

Echolalie

Ein grünes Kleid “esklei-tesklei”
das trag ich heut “icheu-ticheu”.
Da wird es Rot “esro-tesro”,
ich sag iwo “kiwo-kiwo”.

Ach geh doch weg “ochwe-kochwek”,
du dummes Echo “eko-ek”.
Und bitte quatsch “ekwatsch-ekwa”
mir nichts mehr nach “erna-herna”.

(das lallende Echo, lallende Echo; Echolalie [Echolalia]: [zwanghaftes] Wiederholen von Sätzen und Wörtern anderer; das zwanghafte Wiederholen eigener Sätze ist die Palilalie [Palilalia]; oh Sch….! Ich vergaß die Koprolalie [Coprolalia], das krankhafte Aussprechen von Obszönitäten)

(eine fraktale Julia-Menge)

Elfchen

Grün
mein Hemd
bei rotem Licht
Soll ich hier stehen?
Rüber!

(elf Wörter in fünf Zeilen: erste Zeile ein Wort, zweite zwei Wörter, dritte drei, vierte vier und fünfte ein Wort)

Elfchen 2

Haiku

Abendsonne
ein Blatt im Wind
zerschneidet sie

(japanische Gedichtform; darf nicht als Metapher gelesen werden)



die Abendsonne
ein Blatt fällt auf das Auge
Sonnenfinsternis


Sonnenfinsternis