Liebe

Find ich dich wieder wohl im Frühlingswinde?
So weht er nicht, wie du, so sanft und Seide!
Such ich dein Süß in einer Sommerlinde?
Strahlt mir dein Grün aus ihrem Blätterkleide?

Soll ich den Schimmer deiner Rosenlippen,
Soll ich ihr Rot im Rosa denn besingen,
Vom Wonnemund und seinem Wein zu nippen,
die Würze kühn in schale Jamben zwingen?

Ich darf es nicht! Beschämt steh ich als Dichter,
Wo meine Kunst versagt vor solchen Reizen,
Und ich gesteh: Es sind nur Hohngesichter,
Die sich im Lied von meiner Ohnmacht spreizen.

Wie ich es dreh’, es soll mir nicht gelingen.
Darum, mein Lieb, darf ich nicht weitersingen.

Liebe

(Darstellung höfischer Liebe auf einer Goldtruhe: Die anmutige Maid in Schwarz lauscht dem Konzert ihres Anbeters mit in die Seiten gestemmten Armen während die grüne den ihrigen in einem Halsband gefangen hält)

(die kitschigsten Stilfrüchte blühen im Liebesgedicht; die berühmtesten Liebessonette stammen von Petrarca [↪ Sonett in “Vers” und Nebeneinanderstellen von Gegensätzen in “Alltag”] und von Shakespeare: “Shall I compare thee to a summer’s day? / Thou art more lovely and more temperate: / Rough winds do shake the darling buds of May, / And summer’s lease hath all too short a date;” [“Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? / Er ist wie du so lieblich nicht und lind; / Nach kurzer Dauer muß sein Glanz verbleichen, / Und selbst in Maienknospen tobt der Wind.” [Übersetzung von Schlegel/Tieck] – Sonett 18; Englisches Sonett ↪ auch Englisches Sonett in “Abwertend”; die Wiege aller Liebesgesänge ist sicherlich das Hohelied Salomos: “SJhe meine Freundin / du bist schön / Sihe / schön bistu. Deine Augen sind wie taubenaugen / zwisschen deinen Zöpffen. Dein Har ist wie die Ziegen herd / die beschoren sind auff dem berge Gilead. Deine Zeene sind wie die herde mit beschnitten wolle / die aus der schwemme komen / […] Deine Lippen sind wie eine rosinfarbe schnur / vnd deine Rede lieblich. Deine Wangen sind wie der ritz am Granatapffel / zwisschen deinen zöpffen. Dein Hals ist wie der thurm Dauid / mit brustwehr gebawet / daran tausent Schilde hangen / vnd allerley waffen der Starcken. Deine zwo Brüste sind wie zwey junge Rehe zwillinge / die vnter den rosen weiden / bis der tag küle werde / vnd der schatten weiche. […].”)

Hohelied

“Christus und die minnende Seele”
(aus einem Gebetsbuch des 15. Jahrhunderts)