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Einleitung

Grüne Figur bei Rot

(300 Veränderungen über den Satz “Ich trug ein grünes Hemd und ging bei Rot über die Straße.”)

Kleines Rhetorikum

von © Rolf-Peter Wille

Hier geht’s los, auf die Straße, in einem grünen Hemd

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Figuren

Seit Tag und Jahr plagen mich die Figuren, die rhetorischen, die den Garten meiner Beredsamkeit düngen – ohne Erfolg. Es stinkt zwar gewaltig, aber die Blümlein wollen nicht auf mir wachsen und der eigene Mist verwelkt. Hier endlich mein letzter Versuch, mir diese anziehenden Figuren mit den abschreckenden Namen zu merken. Ich imitiere meine gewaltigen Vorbilder, den Erasmus und Raymond Queneau, und ziehe ein banales Thema durch die Figuren, die Gemeinplätze und den Kakao. Der Geschmack wird, hoffe ich, mit dem Trinken kommen. (Prost.)

1512 entschüttete Erasmus von Rotterdam seinem Füllhorn fast zweihundert Variationen des Satzes “Dein Brief hat mir sehr gefallen” [in De Copia]. Die lustigste, “Ich küsste deinen Briefträger”, war aber leider nicht darunter. Das gleiche Experiment machte er auch mit dem Satz “So lange ich lebe, werde ich dich erinnern”. Nur 435 Jahre später dann erschienen Raymond Queneaus gefeierte Stilübungen – “Spielübungen” eigentlich: 99 Stilvariationen über einen trivialen Vorfall im Pariser Omnibus; Vorbild, sagt Queneau, war Bachs Kunst der Fuge.

Warum noch ein weiteres Experiment? Ich will hier einmal die Stilfiguren, klangliche, rhythmische, grammatische, rhetorische usw., im Vers belauschen. Leider denken wir an “Beredsamkeit” bei Rhetorik. Wir denken “Politik”, wir denken “Absicht” und vergessen die Rhetorik der Musik, die des Ausdrucks, der Bibel, Shakespeares.


Genug der Vorrede. Was eine Figur ist, wollte ich noch erklären, aber dabei machte ich keine gute. Dass sie Ausdruck ist, das zu zeigen jedoch, ist mir wichtig. Wie die Miene im Gesicht, wie die Geste im Körper, so spielt die Figur in der Sprache. Mit Aug und Mund und Falte spielt die Miene – mit Finger, Kopf, mit kleinem Zeh die Geste. Die Figur spielt mit Wort und mit Grammatik – mit Sinn. Auch mit uns spielt sie, wenn wir müde werden.

Figuren sind Gesten und Gestalten unserer Sprache, gestaltende Gesten, die sich mitteilen wollen, die eine Wirkung erzielen wollen, sich vermehren, verändern, leben wollen. Sprache ohne Figur ist wie Mensch ohne Sprache. Sie trifft mit ihrem Wort, sie trifft gezielt: Ihr Spielzeug ist der nicht mit Sprache spielt.

RPW (Taipei, 2009)

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